Archiv der Kategorie: Meinung

Kurze Abenteuer

Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass du, lieber Leser, zwischen 30 und 50 Jahren alt bist. Wahrscheinlich hast du genug Geld, um dir auch teurere Rollenspielprodukte zu kaufen. Dein Hobby leidet aber darunter, dass du nicht genug Zeit dafür hast.

Liege ich richtig?

Die Demographie der Rollenspieler hat sich verändert. Mich würde es nicht wundern, wenn das Durchschnittsalter inzwischen bei über Mitte 30 liegt. Es ist sicherlich nicht nur Nostalgie, dass das Old-School-Spiel wieder so beliebt ist. Es bedeutet einfach mehr Zeit zum Spielen: Man kennt die Regeln, kann sie leicht an seine Bedürfnisse anpassen, was den Neukauf von anderen Regelsystemen unnötig macht, und kann unkompliziert sogar mit wechselnden Spielern loszocken. Das ist gar nicht schlecht für unser zeitaufwändiges Hobby.

Diesem Umstand versuchen auch andere Rollenspiele Rechnung zu tragen. Savage Worlds war wohl der Vorreiter. Die Plot-Point-Kampagnen sind so aufgebaut, dass nur minimale Vorbereitung zusammen mit dem Willen zu improvisieren nötig sind, um loszuspielen. Ich finde das Konzept hervorragend. Die einzelnen Abenteuer haben mir aber häufig nicht genug Fleisch auf den Rippen. Numenera verfolgt ein ähnliches Ziel (ganz erfolgreich, denke ich). Nicht zuletzt findet man in fast jeder Neuankündigung den Hinweis, das dieses neue, großartige, total innovative Rollenspiel einen einfachen Einstieg ermöglicht und eine flache Lernkurve hat.

Ich bin immer auf der Suche nach neuen Abenteuerkonzepten – in letzter Zeit ganz besonders für Möglichkeiten, auf geringstem Platz Abenteuer unterzubringen, die schnell zu erfassen sind und dennoch ein wenig mehr bieten als: „Dort hinten ist ein Monster. Packt es!“ Es geht mir dabei um publizierte (oder publizierbare) Abenteuer, nicht um die drei Stichworte, die man in der Kantine auf eine Serviette kritzelt, um damit ein paar Stunden später den Spielabend zu füllen.

One-Page Dungeons funktionieren als Konzept recht gut. Ein Blick (oder auch zwei bei der Menge an Material) auf die Ergebnisse der englischen und deutschen 1PD-Wettbewerbe zeigt, wie viel man auf einer einzigen Seite unterbringen kann.

Dungeonslayers bietet den so genannten Dungeon2Go. Konzeptionell sind es One-Page Dungeons. Sie sehen so aus und spielen sich auch so.

One Sheets für Savage Worlds funktionieren auf andere Weise – einigermaßen. Viele der Abenteuer fallen in meine Kategorie „zu wenig Fleisch“, aber sie machen durchaus Spaß. Und sie sind eine schöne Werbemöglichkeit für die Spielreihen.

In Weird Discoveries gibt es zehn Abenteuer für Numenera. Monte Cook hat, wie man es von ihm gewohnt ist, das ganze Konzept erweitert und erneuert. Das eigentliche Abenteuer ist eine einzige Doppelseite mit einer Karte oder einem Fließdiagramm. Textkästen mit Pfeilen erklären die Karten. Die Fließdiagramme bestehen ebenfalls aus Textfeldern, die alles Nötige erklären. Zwei Seiten führen das Abenteuer ein und zwei weitere Seiten bieten weitere Informationen, die nicht unbedingt für das Abenteuer benötigt werden, es aber bereichern können, wenn der Spielleiter Zeit hat, sie zu lesen.

Für mich sind die Abenteuer in Weird Discoveries zurzeit der Goldstandard für Kurzabenteuer.

Gibt es noch etwas, das ich übersehen habe? Kennt ihr vielleicht weitere Konzepte oder habt selbst welche entwickelt?

Nachtrag:

Auf G+ und hier wurden ein paar Kurzdesigns erwähnt, die ich im Artikel nicht erwähne (oder einfach nicht kannte). Diese also als Ergänzung:

  • Dungeon Starter für Dungeon World,
  • die kurzen Abenteuer für Pendragon (speziell aus der „Great Pendragon Campaign“),
  • die für einen Wettbewerb entstandenen One-Sheets für Gumshoe,
  • die Kurzabenteuer von Beyond the Wall,
  • die fast 100 Kurzabenteuer für Finsterland,
  • die verschiedenen Kurzabenteuer für Destiny und natürlich
  • meine eigenen Kurzschocker.

ADI 2015: kurz und gut

Ein Bericht über Katastrophen auf einer Bohrinsel (The Laundry), Menschenfresser in Neuguinea (The Outer Presence) und Trollen in einer Höhle (Dungeonslayers). Außerdem über Freunde, eine flexible Con-Orga und die Auswirkungen von Schlafmangel.

Eine kurze Zeit schien es, als würde der Auf-den-Inseln-Con dieses Jahr ins Wasser fallen. Das Zeltlager in Otterndorf wird zurzeit als Unterbringung für mehrere Hundert Flüchtlinge genutzt. Offenbar entstand die Entscheidung dazu so kurzfristig, dass Con-Orga-Zentrale Marco es selbst erst über die Zeitung davon erfuhr. Es gelang ihm dennoch, spontan eine Jugendherberge in Cuxhaven aufzutun, die uns stattdessen unterbringen konnte. Der Con wurde um einen Tag gekürzt und wir mussten natürlich auf die hervorragende Verpflegung von Zeltlagerkoch Cookie verzichten. Das tat der Stimmung aber keinen Abbruch. Das Essen war in Ordnung und es gab genug Kaffee und Getränke und sogar ein wenig Kuchen am Nachmittag. Trotz der Kürze der Vorbereitungszeit lief alles wie am Schnürchen. Ich kann der Orga nur gratulieren und mich bedanken, dass die Con nicht ausfallen musste.

Die Anreise zum ADI ist seit meinem Umzug nach Hessen lang und anstrengend. Ich kam nach insgesamt 8 Stunden Reisezeit in Cuxhaven an und war hauptsächlich müde. Die Stimmung vor Ort war aber bereits gut und das Essen stand auch schon bereit. Ich konnte also etwas essen und erstmal in Ruhe ankommen. Dann gab es einen Kaffee und ein Bier und wir spielten los.

Eigentlich wollte ich drei Abenteuer anbieten. Wegen der Zeitverkürzung schmiss ich eines raus, das ich bereits einmal geleitet hatte (TimeMaster mit einer Geschichte, in der die Legende von König Artus gerettet werden muss). Übrig blieben „Case: Lambent Witch“ für „The Laundry“ und „The Outer Presence“. Für Freitagabend hatte ich ersteres angesetzt.

„The Laudry“ hatte ich bereits ein paarmal gespielt. Es ist ein Cthulhu-Ableger, der auf den Romanen der gleichnamigen Reihe von Charles Stross basiert. Weil ich unbedingt endlich „Cthulhu 7“ ausprobieren wollte, konvertierte ich die fertigen Charaktere und brachte die Kurzregeln mit. „The Laundry“ ist eine Untergruppe des britischen Geheimdienstes, die sich wie damals das X-Files-Team um übernatürliche Gefahren kümmert. Gefahr droht in Form von Mathematik, denn Mathe ist Magie. Früher wurden die notwendigen Prozesse manuell durchgeführt und entsprechend viel ging schief. Diverse Geschichten von missglückten Dämonenbeschwörungen zeugen davon. Heutzutage machen das Computer und jeder Vollpfosten kann mit seinem Handy Magie wirken, wenn er die passende App hat. Wie alle Beamten müssen auch die Mitarbeiter von „The Laundry“ mit der Bürokratie kämpfen, was die Arbeit zusätzlich erschwert – für Leser und Rollenspieler allerdings einen witzigen Schuss Parodie ins Spiel bringt.

In „Case: Lambent Witch“ haben die Charaktere das Pech im Dienst zu sein, als ein Notfall reinkommt. Eine Bohrinsel, die am Rande der verbotenen Zone von BLUE HADES schwimmt, antwortet nicht auf Kommunikationsversuche und ein Hubschrauber, der wegen eines Sturms nicht landen konnte, sah so etwas wie Zombies auf der Bohrplattform. BLUE HADES ist der Codename für die Tiefen Wesen, mit denen ein Abkommen existiert, das bestimmte Bereiche der Nordsee als verboten erklärt. Das Abenteuer ist ein Katastrophenfilm mit Tentakeln. Die Charaktere müssen Soldaten über die Bohrinsel leiten; sie müssen herausfinden, was geschehen ist und anschließend dafür sorgen, dass BLUE HADES nicht die Menschheit ausrottet.

Das Abenteuer ist hervorragend konzipiert. Immer geschieht etwas und auch der Informationsfluss versiegt praktisch nie. Nach und nach ergibt sich ein erschreckendes Bild. Kampf spielt trotz allem eine geringe Rolle, den übernehmen nämlich die Soldaten. Spannend ist es trotzdem.

Bis die Charaktere verteilt, der Hintergrund erklärt und die Gespräche versiegt waren, hatten wir bereits 22 Uhr. Es stand also schnell fest, dass ich würde kürzen müssen. Ansonsten verlief das Abenteuer gut. Vor allem war es kurzweilig und, wie ich hoffe, ab und zu ganz spannend. Das Ende war knapp und enthielt einige knifflige Entscheidungen. Der Hauptteil des Abenteuers ist die Erkundung der Plattform. Dazu dirigieren die Charaktere 3 SAS-Teams per Funk durch die Abteilungen. Ich hatte die schematische Darstellung der Bohrinsel (eine Art Fließdiagramm) ausgedruckt und Halma-Pöppel dabei. So liefen also Team Red, Team Blue und Team Green herum, erstatteten Bericht, retteten Überlebende und bekämpften Zombies. Das war allerdings etwas chaotischer als gedacht. Mit sechs Leuten am Tisch, war nicht immer eindeutig, ob die Charaktere nun genau hinter einem Team waren, oder in der improvisierten Zentrale blieben. Manchmal war ich überrascht, wo die Pöppel plötzlich standen, wenn ich wieder einmal auf den Plan sah. Am Ende verlief aber alles ohne große Komplikationen. Übrigens: Auch wenn die Erkundung sehr nach Dungeon klingt, fühlt es sich anders an. Klar, eine Erkundung bleibt eine Erkundung, aber Dungeon-Hasser brauchen keine Angst zu haben. Es ist trotzdem gut.

Ich musste das Abenteuer wie erwartet kürzen, damit wir es beenden konnten. So entging den Spielern die Begegnung mit einem paragraphenschwingenden Gesandten der Tiefen Wesen und das Eindringen in einen gesicherten Industriekomplex. Dennoch haben sie genug erlebt und konnten gemeinsam mit ein paar Raketen das Abenteuer zu einem positiven Abschluss bringen.

Nach dem leckeren Frühstück am nächsten Tag startete dann meine zweite Runde. „The Outer Presence“ benutzt ein eigenes Regelwerk, das ich ausprobieren wollte. Die Prämisse des Abenteuers ist die: Die Charaktere arbeiten für die Miskatonic Unversity und werden nach Neuguinea geschickt, um einen Anthropologen bei der Erforschung eines dort lebenden Stammes zu unterstützen. Er hat einen alten Tempel im Berg entdeckt und braucht mehr Leute, um diesen zu erforschen. Warum die bereits anwesenden Forscher dazu nicht (mehr) in der Lage sind, stand nicht in seinen Telegrammen.

Das Abenteuer spielt in den 70ern und bedient sich diverser Kannibalenfilm-Klischees. Man darf also mit Übertreibungen jeder Art rechnen. Die Charaktererschaffung ist extrem simpel. Wir legten nur den Beruf fest. Das hat gereicht. Da alle ihren Beruf zufällig bestimmen wollten, hatten wir neben anderen einen Politiker, der eigentlich auf Safari gehen und einen abgehalfterten Sänger, der sein Image aufpolieren wollte. Das Abenteuer liefert eine optionale Tabelle für den Anfang. Sie legt fest, was die Figuren gerade tun, als sie der Ihr-seid-nach-Neuguinea-eingeladen-Anruf erreicht. Ich beschloss spontan, sie zu benutzen. Der Politiker spielte gerade die Hauptrolle bei der Produktions eines Pornofilms und der Sänger fand eine grüne schleimige Droge, die er prompt ausprobierte. Es waren Szenen von teilweise nicht einmal zwei Minuten, aber wir haben sehr gelacht und legten den Grundstein für das spätere (immer absurder werdende) Spiel.

Nach der Ankunft in Neuguinea, bevor die Expedition Richtung Tempel aufbrach, war der Informationsfluss etwas dünn. Da sollte der Spielleiter vielleicht bei den Vorbereitungen ein paar Details hinzufügen. Allerdings waren Figuren wie erwähnt nicht gerade Vollblutforscher und dachten kaum daran, selbst tätig zu werden. Bei einer aktiveren Gruppe, dürfte es besser laufen. Das hat natürlich voll und ganz zu den erwürfelten Charakteren gepasst und war kein Fehler der Spieler. So entgingen ihnen zwar ein paar Informationen, aber sie hatten immer noch genug, um nervös zu sein, als es Richtung Tempel ging.

Dort erwartete sie ein Dungeon. Abenteuerautor Venger Satanis kann seine Wurzel einfach nicht verleugnen, liefert aber einen so spannenden und abgedrehten kleinen Raumkomplex, dass auch Spieler, die Cthulhu erwarten auf ihre Kosten kommen. Wir hatten jedenfalls Spaß. Leider mussten wir 30 min vor Schluss zum Abendessen. Trotz der Unterbrechung hat der Showdown funktioniert und wir waren so pünktlich fertig wie noch nie, nämlich 20 min vor Beginn des nächsten Slots.

Das Regelsystem funktioniert übrigens sehr gut. Es ist allerdings geradezu abartig tödlich (mehr dazu in der verlinkten Rezi). Da das auch die Spieler wussten, waren sie vorsichtig und starben – wenn überhaupt – erst im Showdown.

Danach stellte sich die Frage: Was mache ich jetzt? Es war nur noch eine Runde frei: Star Wars. So gern ich die Filme mag, aber als Rollenspieluniversum reizt mich das nicht sonderlich, auch wenn ich gern mal mit dem Spielleiter gespielt hätte. Nach ein wenig Hin und Her, räumte mir der Spielleiter der bereits voll belegten Dungeonslayers-Runde netterweise einen weiteren Platz bei sich frei.

adi2015-2Das Abenteuer zeigte anschaulich, wie wenig nötig ist, um eine schöne Rollenspielrunde zu haben: Ein grantiges Dorf, ein Auftraggeber und eine Höhle mit vier Trollen. Mehr hat es nicht gebraucht, um uns vier Stunden zu beschäftigen. Das war nach der anstrengenden Leiterei sehr erholsam und spaßig. Die Gruppe war aber auch toll. Meine beste Rollenspielanschaffung des letzten Jahres (eine Wachstuchtischdecke mit Karomuster) kam ebenfalls erfolgreich zum Einsatz. Ich hatte den Tipp in einem Blog gelesen. Eine billigere und praktischere Battlemat habe ich noch nicht gesehen. Mein Dank geht ein weiteres Mal an den Spielleiter, der mich nicht nur netterweise aufnahm, sondern auch noch hervorragend leitete.

adi2015-1Das war es dann schon wieder. Gegen 1 Uhr nachts waren wir fertig und quatschten noch in netter Runde bis 3 Uhr. Dann ging ich ins Bett. Am nächsten Tag nach dem Frühstück zerstreute sich die Gesellschaft langsam. Ich schloss mich einer Gruppe an, die einen kurzen Strandspaziergang machte und dann ging es Richtung Heimat. Netterweise nahm mich ein Freund im Auto mit, sodass die Rückfahrt sehr kurzweilig wurde.

Mein Fazit für dieses Jahr? Ich werde zu alt für den Scheiß. Zwei viel zu kurze Nächte nach anstrengenden Tagen machen mich einfach fertig. Der Rest des Fazits ist wie jedes Jahr: Der ADI, das kleine Familientreffen toller Rollenspieler an der Nordseeküste, ist die beste Con des Jahres und auch eine weite Reise wert. Vielen Dank an die Orga und alle Anwesenden. Ich freue mich auf nächstes Jahr.

Wir hacken uns durch Whitehack

Begeisterung ist ja bekanntlich ansteckend, besonders wenn sie von Leuten kommt, deren Geschmack man teilt. Auf Whitehack wurde ich aufmerksam, weil gleich mehrere Freunde eben diese Begeisterung verbreiteten. Wir hatten letztes Wochenende Gelegenheit, das kleine Rollenspiel auszuprobieren.

Whitehack ist mehr als ein weiterer Retro-Klon. Obwohl das Spiel aus der OSR-Szene kommt und aus Hausregeln für die heimische D&D-Runde des Autoren entstand, ist es ein eigenständiges Spiel. Leider ist es nicht leicht zu bekommen. Lulu USA ist die einzige Bezugsquelle und das Porto dementsprechend astronomisch. Doch natürlich ist es in Besitz eines der begeisterten Freunde. Eine Bestellung der aktuellen Version 2 läuft noch. Wir probierten den Vorgänger (v1.6) aus. Die Analogkonsole hat die Charaktererschaffung bereits schön an einem Beispiel gezeigt (und einen deutschen Charakterbogen produziert). Ich wiederhole ein wenig von dem, was dort steht.

Eine Figur hat die üblichen 6 Attribute: Stärke bis Charisma. Diese werden mit je 3W6 in gegebener Reihenfolge erwürfelt. Das ist der oldschoolige Ansatz, bei dem auch mal unterdurchschnittliche Figuren entstehen können. Eigentlich mag ich das, doch für den Spieltest benutzten wir die Methode  „4W6 minus kleinster Würfel“. Es gibt drei Charakterklassen: eine Starke, eine Schnelle und eine Schlaue. (In Version zwei sollen zwei weitere hinzukommen, habe ich gehört.) Aus Klasse und Stufe ergeben sich Dinge wie Trefferpunkte, Angriffsbonus und Rettungswurf.

Zwei weitere Punkte legt der Spieler fest. Mein persönliches Highlight sind die „Groups“. In der ersten Stufe wählt der Spieler zwei Gruppen aus. Bei höheren Stufen sind werden es mehr. Das kann z. B. eine Spezies sein: Zwerg, Halbork oder Drachling, was immer in die gewählte Welt passt. Oder es ist eine Berufung, sprich: die Klasse. Die meisten Spieler wählen eine Berufung, egal ob Zauberer, Dieb, Kämpfer oder Exorzist. Als letztes kann es auch die Zughörigkeit zu einer frei festgelegten Gruppe sein.

Ich wollte eine Figur spielen, die Karriere in einer riesigen Bürokratie machen wollte und rausgeflogen ist. Als Vorbild nahm ich die himmlische Bürokratie aus Exalted, es könnte aber auch ein entsprechender Wahnsinn in Bastion oder Vornheim sein. Als Gruppen wählte ich deshalb: „Bürokrat“ als Berufung und „Ehemaliges Mitglied der wahnsinnigen Bürokratie der weinenden Göttin“. Beim nächsten Mal würde ich letzteres gleichzeitig als Berufung wählen und als zweite Gruppe irgendetwas anderes.

Statt Fertigkeitsproben würfelt ein Spieler normalerweise auf ein Attribut: Charisma, wenn er Leute bezirzen will oder Stärke, wenn er versucht, eine Tür einzurennen. Gruppen werden einem Attribut zugeordnet. Steht neben dem Attribut eine Gruppe, die von Vorteil für die entsprechende Probe sein könnte, bekommt der Spieler einen Bonus. Würde ich also versuchen, jemanden zu irgendetwas zu überreden und derjenige wäre ein alter Freund aus Bürokratiezeiten, bekäme ich auf meine Charisma-Probe einen Bonus.

Das Prinzip ist so einfach wie effektiv. Man kann praktisch alles spielen. Im Spiel selbst ist es unkompliziert, gibt für den Spieler aber sofort einen merkbaren Vorteil. Der Spieler legt mit seinen Gruppen außerdem Settingdetails fest, ganz ähnlich wie bei Fate. Bei uns ergab es sich ganz natürlich, dass die weinende Göttin ein Teil des Settings wurde. Ein anderer Spieler spielte einen Exorzisten und sein heiliges Zeichen war eine Phiole mit einer Träne der Göttin.

Als letztes hat jede Figur einen oder mehrere „Slots“, die mit besonderen Fähigkeiten belegt werden. Starke Figuren haben z. B. eine Auswahl an Kampfmanövern. Schlaue Charaktere haben zauberspruchartige Fähigkeiten, z. B. Pyrokinese oder Exorzismus. Letztere wirken zunächst etwas schwammig. Jede Anwendung wird einzeln vom Spielleiter betrachtet, der sie wie einen Zauberspruch behandelt und festlegt, wie anstrengend sie ist, was sich im Verlust an Trefferpunkten ausdrückt. Zum Glück können sich Spieler und Spielleiter sehr leicht an D&D jeder Edition orientieren, wenn die Mächtigkeit und damit die Kosten eines Zaubers festgelegt werden. In der ersten Stufe können Schadenszauber mit ca. 1W6 Schaden gewirkt werden oder der Zauberer kann mit dem passenden „Slot“ eine Person einschlafen lassen. Das hat bei uns wunderbar funktioniert. Leider kam es nur drei- oder viermal zum Einsatz.

Der Kampf gestaltet sich wie bei D&D üblich: Die Rüstung bestimmt die Rüstungsklasse, welche ihrerseits die Trefferchance festlegt. Der Waffenschaden wird von den Trefferpunkten abgezogen. Das ist einfach, altbekannt und funktional.

Wir spielten das Abenteuer „Das Grauen unter dem Hügel“ für Pathfinder mit improvisierten Gegnerwerten. Das Abenteuer ist eine runde Sache: Eine Stadt wird von einer unsichtbaren Kreatur bedroht, die Erdbeben auslösen und Häuser zum Einsturz bringen kann. Cover und Titel lassen ganz richtig cthuloide Machenschaften vermuten. Im ersten Teil finden die Charaktere einiges über die Gefahr heraus. Der zentrale Hinweis ist eine Liste mit fünf Punkten, die abgearbeitet werden müssen. An jedem Punkt gibt es ein Miniabenteuer. Das scheint ein typischer Aufbau für Pathfinder-Abenteuer zu sein – vermutlich, weil er gut funktioniert. Der Spielleiter kann das Abenteuer an praktisch jedem der fünf Punkte beenden, wenn es sein muss.

Wir hatte nach Abendessen und Charaktererschaffung nur noch zwei Stunden Zeit zu spielen. Die Zeit reichte aber aus, um das System kennenzulernen, und was soll ich sagen … wir hatten viel Spaß. Ich hatte ein paar Befürchtungen vor dem Spieltest, die aber alle zerstreut wurden. Obwohl Slots und Groups der Figuren frei bestimmt werden, hat der Spielleiter genug Anhaltspunkte, um nicht „ins Blauen hinein“ Entscheidungen treffen zu müssen. Proben sind nicht beliebig, wie es manchmal bei simplen Spielen der Fall ist. Bei den magischen Fähigkeiten hatte ich die größten Zweifel. Es gab nie auch nur einen Anflug von Unstimmigkeiten zwischen Spieler und Spielleiter bei der Einschätzung der Mächtigkeit von Zaubern. Die Orientierung an D&D-Zaubern, die wir alle kannten, hat wunderbar funktioniert. Die Kämpfe sind old-school-typisch tödlich und einfach. Konvertierungen von (O)D&D- und Pathfinder-Abenteuern zu Whitehack sollten einfach sein – ein riesiger Pluspunkt in meinen Augen. Wie gut das im Detail ist, muss ich natürlich noch ausprobieren. Alles in allem eine tolle Sache. Ich spiele auf jeden Fall wieder Whitehack.

There is no color like premium color

PoD-Bücher bei Drivethru gibt es in zwei Varianten: Regular und Premium. Häufig wird vom jeweiligen Herausgeber beides angeboten. Premium verspricht besseres Papier und leuchtendere Farben zu entsprechend höherem Preis. Bisher war ich immer zu geizig, um mir ein Premiumbuch zu kaufen. Wie ich allerdings schon in der Rezension von Far Away Land erwähnte, lässt der Regular-Druck an mancher Stelle dann doch zu wünschen übrig. Das Papier ist für die Farbtinte einfach zu dünn. Was mir vorher nicht aufgefallen war: Das Papier wellt sich sogar. Bei FAL fällt das besonders auf, weil es farbige Kopfbalken auf jeder Seite gibt, die sich sehr auffällig wellen. Da ich FAL sehr cool finde und mich etwas darüber geärgert habe, beschloss ich, das Premiumbuch zu bestellen und die beiden Ausgaben zu vergleichen.

Auf folgenden zwei Bildern sieht man Aufnahmen aus dem Regular-Buch (klick zum Vergrößern). Hier sieht man die Wellen recht deutlich.

FAL2-regular-wellen

 

Hier noch mehr Wellen und eine Seite für einen Farbvergleich. Die Farben sind relativ blass. Leider kann man das auf dem Foto nur mittelmäßig gut erkennen.

FAL3-regular

Im direkten Vergleich wird es allerdings deutlich. Ich musste mehrere Aufnahmen machen, um den Unterschied herauszustellen, aber man erkennt: da sind keine Wellen im Premium. Die Farben sind wesentlich kräftiger.

FAL3-premium

Um es kurz zu machen: Höherer Preis hin oder her, ich werde in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen auf Premium verzichten. Die Farben sind wesentlich kräftiger, das Papier um Klassen besser (es scheint nichts hindurch) und es wellt sich nichts. Weil ich es mir nicht verkneifen kann, als letzes ein Vergleich der Dicke der beiden Bücher. Wie man sieht, bekommt einfach mehr für sein Premiumgeld.

FAL-vergleich

Wir nahmen immer einen Löffel mit in den Dungeon

Ich kenne da einen jüngeren Rollenspieler (zumindest jünger als ich), der erst zu Zeiten von d20 ins Rollenspiel einstieg. Vor ein paar Wochen bekam er ein OSR-Spiel in die Finger. Als wir telefonierten, erzählte er, wie angetan er von den Regeln sei. Doch einige Sachen würde er nicht verstehen.

„Ein paar Sachen sind echter Quatsch. Was ist denn zum Beispiel mit den Attributsproben? Normalerweise würfelt man hoch. Nur bei den Attributsproben muss man plötzlich niedrig würfeln. So ein Design ergibt gar keinen Sinn!“

Auf die Diebesfähigkeiten, die man mit Prozentwürfeln anstatt wie alle anderen Proben mit einen W20 würfelt, war er noch gar nicht gestoßen …

Recht hat er: Als Design ergibt das zunächst einmal keinen Sinn, weil es unterschiedliche Maßstäbe an verschiedene Bereiche des gleichen Systems anlegt. Historisch betrachtet ergibt es schon Sinn: Zunächst gab es keine Attributsproben. Die wurden erst später als Option hinzugefügt. Als Option wohlgemerkt. Als man sie dann in das bestehende Regelsystem einführte, lag es nah, dass man darunter würfeln muss, denn so etwas wie Mindestwürfe gab es im eigentlichen Sinne noch nicht.

Ursprünglich waren solche Proben nicht vorgesehen. Eigentlich beschreiben die Spieler, was sie machen wollen und der Spielleiter entscheidet über das Ergebnis. Will eine Spielfigur eine Truhe auf Fallen untersuchen, beschreibt der Spielleiter sie in allen Details und fragt dann, was genau der Spieler machen will. Gucken, ob sich etwas im Schlüsselloch befindet? Den Boden auf Bereiche absuchen, die sich verschieben oder drücken lassen? Auf den Deckel klopfen? Deshalb nahmen viele Gruppen immer einen 10 Fuß langen Holzstab mit in den Dungeon. Sie klopften damit den Boden nach Fallen ab oder steckten ihn in Bereiche, in denen sie eine Gefahr vermuteten. Wir selbst hatten immer einen Löffel dabei, den wir in Schlüssellöcher steckten, um so Giftnadeln und andere Fallen zu umgehen.

Das ist alles nichts Besonderes für jemanden, der mit der roten D&D-Box groß geworden ist. Das Spiel hat sich seitdem jedoch stark verändert. Meinem Freund war z. B. auch unklar, warum ein Magier in der ersten Stufe nur einen einzigen Zauber hat. Oder wieso die SC so wenig Trefferpunkte in der ersten Stufe haben.

Dabei fiel mir wieder einmal auf, wie unsinnig manche Sensibilitäten sind, wenn es um „gutes Design“ von Regeln geht. Heute muss möglichst alles aus einem Guss sein: Entweder man würfelt immer hoch oder immer niedrig. Wenn Proben für die eine Klasse mit 1W20 gemacht werden, dann darf eine andere Klasse nicht plötzlich 1W100 benutzen. Bei sehr komplexen Regeln ist das natürlich gut, sonst steigt man bald nicht mehr durch. Bei einem so einfachen System wie beim Roten-Box-D&D ist es einfach egal. Vielleicht haben diese kleinen Untersysteme ja sogar den Vorteil, dass man einfacher etwas verändern kann, weil nicht alles ineinandergreift. Das gilt für viele Dinge. Ich bin immer noch der Meinung, dass das alte Cthulhu-System ungeschlagen gut ist. Da sind zwar sinnlose Regeln drin und Attribute und Fertigkeiten funktionieren auf unterschiedlichen Skalen und ein paar Fertigkeiten auf den Charakterbogen benötigt man praktisch nie. Aber am Spieltisch funktioniert es. Man ignoriert, was einen stört und spielt einfach. „Flexibel“ bedeutet auch „leicht veränderbar“. Wenn ich Leute höre, die das eine oder andere alte System nicht mögen, tun sie das manchmal nur „aus Prinzip“.

Mein Freund hat inzwischen den Old-School-Primer gelesen, und viele Überlegungen der OSR-Szene gefallen ihm. Manches würde er sofort selbst so spielen – anderes wiederum nicht. Mir hat die Unterhaltung wieder einmal die Augen geöffnet. Dass wir manche Regeln und Spielstile nicht verstehen, liegt einfach daran, dass wir andere Erfahrungen gemacht haben. Das heißt nicht, dass die Erfahrungen des anderen weniger richtig wären. Nur weil es bei uns nicht funktioniert hat, kann es trotzdem bei anderen funktionieren.

Märchen erzählen leicht gemacht: Das Kartenspiel „Es war einmal“

es-war-einmalDas erste Mal hörte ich von dem Kartenspiel „Es war einmal“ vor ca. 20 Jahren, als ich mich mit einem bis dahin unbekannten Rollenspieler über dessen Erfahrungen und Spielstile unterhielt. Nebenbei erwähnte er das Spiel und wie er es mit Kumpels als Abwechslung zur normalen Runde spielt. „Das sind Karten, auf denen Sachen wie Wald oder Magisches Schwert oder Königstochter stehen. Mithilfe diese Stichwörter erfinden wir eine Geschichte. Theoretisch kann man das Spiel gewinnen, indem man als erstes die Karten ‚wegerzählt‘ hat, aber kümmern wir uns kaum drum. Wir erzählen einfach gemeinsam eine Geschichte. Manchmal entstehen richtig nette Sachen.“

Ich dachte immer mal wieder, dass ich das Spiel gern ausprobieren würde, aber irgendwie ergab sich das nie. Irgendwann war es nicht mehr auf einfachem Wege zu bekommen und ich vergaß es. Dann kam die Zeit der Indiespiele, wo Dinge wie Erzählrechte, das gemeinsame Erfinden der Story und Director Stance plötzlich Einzug in den normalen Rollenspielalltag erhielten. „Es war einmal“ wurde in den Diskussionen erwähnt und bestimmte Indie-RPGs sogar damit verglichen.

Noch einmal einige Jahre später brachte Pegasus die Neuauflage des Spiels auf Deutsch heraus und 2013 nahm ich es auf der Spielemesse mit. Leider ergab es sich immer noch nicht, es zu spielen. Dann erschien die erste (und bisher leider letzte) Erweiterung, die ich mir ebenfalls kaufte – immer in der Hoffnung, irgendwann die Gelegenheit zu finden, es endlich auszuprobieren. Schlussendlich schob ich den Blog vor und suchte eine kleine Runde unter dem Vorwand zusammen, dass ich gern einen Artikel über das Spiel schreiben würde und es vorher einmal ausprobieren müsse. Netterweise fand sich eine kleine Gruppe zusammen.

Die Neuauflage von Pegasus wird in den für den Verlag üblichen Kartenspielpappböxchen ausgeliefert. Das Grundset enthält drei Themendecks („Adel“, „Bürgerliche“ und „Kreaturen & Gefahren“), 165 Karten insgesamt. Es gibt zwei verschiedenen Arten von Karten. Da wären zum einen die Märchenende-Karten. Jeder Spieler zieht zu Beginn des Spiels eine davon. Auf den Karten stehen Enden, z. B.: „Sie wurden gemeinsam begraben und das ganze Königreich trauerte um sie.“ Oder: „Und so wurde es in Menschengestalt zurückverwandelt.“ Auf den anderen Karten sind Dinge, Orte, Eigenschaften, Charaktere und Ereignisse, z. B. „Axt“, „Hexe“, „Glück haben“. Ein paar dieser Karten sind farbig hervorgehoben und fungieren zusätzlich als so genannte Unterbrechungskarten.

Nun zieht jeder Spieler eine gewisse Anzahl an Karten abhängig von der Spieleranzahl. Einer beginnt und erzählt den Anfang einer Geschichte, in der etwas vorkommt, das er als Karte auf der Hand hat. Ist es in die Geschichte eingebaut worden, wird die Karte auf den Tisch gelegt. Natürlich muss dieses „Etwas“ eine echte Rolle spielen. Wenn die Hauptperson einfach an einem Baum vorbeiläuft, ohne diesen zu beachten, darf die Karte „Baum“ nicht abgelegt werden. Erwähnt der Erzähler etwas, das auf der Karte eines Mitspielers abgebildet ist, darf dieser die Karte von seiner Hand abwerfen und die Geschichte übernehmen. Nun erzählt er weiter. Unterbrechungskarten dürfen unabhängig davon, was auf ihnen abgebildet ist, jederzeit benutzt werden, um die Geschichte eines Mitspielers zu unterbrechen und selbst weiter zu erzählen. Hat ein Spieler alle Karten abgelegt, muss er die Geschichte so zu Ende führen, wie es auf seiner Märchenende-Karte steht. Dann legt er auch diese Karte ab und gewinnt das Spiel.

Theoretisch ist „Es war einmal“ also ein Spiel, das gegeneinander gespielt wird. Die Regeln erklären aber, dass man den Wettbewerb, ja sogar die Regeln selbst, nicht zu ernst nehmen soll. Die Geschichte steht im Vordergrund nicht der Sieg.

Aber wie das so ist, wenn man ein Spiel das erste Mal spielt, haben wir uns erstmal an die Regeln gehalten. Die Geschichte war ein niedliches Märchen über einen Jungen, der sein Dorf verlässt, um einen Drachen zu jagen, den er in einer Wolke gesehen hat. Auf seinem Weg kommt er durch einen dunklen Wald, wo er sich mit einem toten Jungen anfreundet, der sich darin versteckt hält, und reist mit ihm gemeinsam weiter. Der tote Junge war von sadistischen Räubern vergiftet worden, die die Gegend heimsuchen. Als die beiden erfahren, dass sich eben diese Räuber auf dem Weg in das Heimatdorf des Drachensuchers befinden, kehren sie um, um seine Eltern zu warnen.

Das Spiel dauerte nicht lange, ohne die Regelerklärungen vielleicht zwanzig Minuten. Als wir danach kurz darüber sprachen, wurde kritisiert, dass es zu sehr vom Glück abhängt, ob man jemals drankommt oder nicht. Wenn man keine Unterbrechungskarte mehr hat und die anderen einfach nicht passen wollen, sitzt man lange herum. Damit hatten sie recht. Die gesamte Geschichte wurde in fünf oder sechs Zügen erzählt. Ein Interessantes Hin und Her zwischen den Erzählern blieb weitgehend aus. Spaß hat es trotzdem gemacht.

Mein Kumpel von damals hatte mit seiner kurzen Beschreibung den Nagel also auf den Kopf getroffen. So sollte ein gutes „Es war einmal“-Spiel ablaufen. Hält man sich sklavisch an die Regeln, geht eine Menge kreatives Potenzial verloren. Stattdessen sollte jeder, der eine gute Idee hat, die Geschichte übernehmen und die Karten als Anhaltspunkte nutzen, aber nicht als herrschaftliche Vorgabe. Ich glaube, so kann man den Spielspaß noch einmal gewaltig erhöhen.

Mir hat „Es war einmal“ sehr gut gefallen. Bei den Mitspielern kam es nicht ganz so gut an, hat aber auch ihnen ein wenig Freude bereitet. Es ist eine etwas komplexere und flexiblere Alternative zu den Story Cubes, die ich ja auch schon mit viel Vergnügen ausprobiert habe. Das nächste Mal werde ich das erste Ergänzungsspiel mit den Themendecks „Magische Märchen“ und „Ritterliche Romanzen“ dazunehmen.

Von den Auswirkungen von Negativität

Weil es mich gerade beschäftigt, mir dieser alte Artikel von Moritz voll aus der Seele spricht:

Dies ist die ständige Ausrede der Meckerer und Negativlinge: Ich will nur gerechtfertigte Kritik anbringen, sonst ändert sich ja nichts.

Soso, ihr wollt uns also alle retten. Vielen Dank dafür. Doch bedenkt:

Meckern ist selten neutral. Was ihr doof findet, finden andere Leute toll. Ich habe vor vielen, vielen Jahren eine Rezension über Kult gelesen. Das Spiel wäre totaler Mist, hieß es. Splatter als Spielelement, das würde ja gar nicht gehen und die ganze Sache mit der Illusion wäre ja wohl auch Quatsch. Ich habe Kult lange keines Blickes gewürdigt und mich Jahre später geärgert als ich einen unglaublichen Ebay-Preis für das großartige Spiel bezahlt habe, das der Rezensent einfach nicht verstanden hatte. Ich lese regelmäßig solche Rezis: Leute, die sich über irgendeinen Punkt im Buch ärgern und alles andere ebenfalls in einem negativen Licht zeigen – ein Produkt verreißen, das vielleicht nur einen einzigen Fehler hat. Nein, Du bist natürlich ganz anders, Du kritisierst nur gerechtfertigt, ist schon klar. Du weißt, was gut und schlecht ist.

Selbst wenn die Kritik gerechtfertigt ist – und deshalb erwähnt werden sollte -, wird sie ungerechtfertigt erhöht, wenn nicht auch die positiven Seiten des Produkts beleuchtet werden. Alle ärgern sich, wenn ein Buch zu viele Tippfehler und falsche Seitenverweise hat. Am Ende werden die meisten Besitzer des Buches darauf pfeifen, wenn der Rest gut ist – dafür müssen sie aber erstmal Besitzer werden.

So häufig ihr jemanden davor bewahrt, ein Buch zu kaufen, das ihm nicht gefallen würde, „bewahrt“ ihr ihn davor, eines zu kaufen, dass er gut fände.

Meckern ist unsympathisch. Außer bei anderen Meckerern. Es macht ein Buch unsympathisch, das viele Leute vielleicht toll fänden. Und es macht eine Community unsympathisch.

Meckern macht die Welt nicht besser. Es macht sie nur weniger sympathisch.

Niemand will, dass Kritikpunkte verschwiegen werden – Kritik ist wichtig -, doch betrachtet sie aus der Sicht von Leuten, denen genau das gefallen könnte. Erklärt, aus welcher Sicht ihr schreibt, damit die anderen Gruppen gewarnt sind. Erwähnt die positiven Punkte. Hebt diese hervor und nicht die Tippfehler.

Macht die Rollenspiellandschaft ein wenig sympathischer.

Warum tue ich das eigentlich?

Charaktermotivation ist ein Schlagwort, das aus Rollenspieldiskussionen kaum wegzudenken ist – speziell in Horrorspielen. Im Zuge von „Immersion“ und allgemeinen Gedanken über „Story“, Erzähltechniken und natürlich Grusel kommt diese Frage zwangsläufig irgendwann auf. Warum macht meine Figur das? Der Typ ist Grundschullehrer! Warum sollte er seine Gesundheit riskieren, um einen Mord aufzuklären oder in den dunklen Keller gehen, obwohl er weiß, dass dort etwas Gefährliches auf ihn wartet? Das ist Sache der Polizei, oder? Auch in anderen Genres kann das ein Problem sein. Ein Vampir, der stark in die Politik einer World-of-Darkness-Stadt eingebunden ist, hat meist andere Sorgen als den Plot-Hook, den der Spielleiter gerade präsentiert.

Es werden einige Klimmzüge unternommen, um das Problem zu beheben. Um beim vordringlichsten Beispiel des Horrorspiels zu bleiben, gibt es den entfernten Verwandten, der etwas vererbt oder getötet wird oder verschwindet. Es gibt zufällige Treffen, die zu einem Zusammenschluss von Gruppen führen oder Dinge, die in der Nachbarschaft einer der Spielerfiguren stattfinden. Möglichkeiten gibt es viele: Träume, Drohbriefe, Doppelgänger, Intrigen, Zufälle usw. Doch irgendwann scheint es unglaubwürdig zu werden. Wie häufig soll eine einzelne Person solche Zufälle denn erleben? Und wieso kontaktiert sie dann diese komischen Leute aus dem ersten Abenteuer, um mit ihnen gemeinsam der Sache nachzugehen? Ich sage: „Es scheint unglaubwürdig zu werden.“ Dazu später mehr.

Einige Rollenspielpublikationen bieten Lösungen an. Das Cthulhu-Buch „Die Janus-Gesellschaft“ beschreibt eine Jahrhunderte alte Gesellschaft, die sich mit der Aufklärung rätselhafter Phänomene beschäftigt. Ihren Mitgliedern reicht Motivation, ein Rätsel lösen zu wollen. In „Supernatural“ sind die Spielerfiguren Jäger, in „Delta Green“ sind sie Agenten. In „Trail of Cthulhu“ gibt es den „Drive“, einen bei Charaktererschaffung festgelegten und in den Regeln verankerten Grund, aus dem die Spielerfigur immer wieder Geheimnissen nachgeht, die lieber ungelöst bleiben sollten.

All das sind gute Möglichkeiten. Andere Rollenspiele oder -kampagnen bieten keine solche Lösungen. Man nehme lange Cthulhu-Kampagnen wie „In Nyarlathoteps Schatten“ oder „Die Bestie“, in der immer wieder Charaktere ersetzt werden müssen. Jedesmal wenn sich ein Page/Kellner/Arzt. spontan der Gruppe anschließt, um die Lücke zu füllen, muss ein neuer Grund dafür gefunden werden.

Ich behaupte, dass dieses „Problem“ ist keines, oder sollte zumindest keines sein. Ich möchte jeden Spieler auffordern, es bei der Charaktererschaffung zu bedenken und es gar nicht erst zu einem Problem werden zu lassen. Ihr seid doch kreative Rollenspieler, also denkt euch was aus. Und wenn sich ein Grund immer wieder wiederholt? Na und? Dutzende von Serien beweisen, dass den Hauptfiguren von Geschichten jede Woche wieder Absonderlichkeiten zustoßen können und niemanden schert diese angebliche Unglaubwürdigkeit. Stellt euch einfach vor, die erlebte Geschichte handelt von Leuten, denen so etwas eben zustößt, und diese Leute seid zufällig ihr. Geschichten von Normalos sind langweilig, also wird hier eben eine Geschichte von Leuten erzählt, die das unglaubliche Pech (oder Glück) haben, immer wieder aufs Neue in ungewöhnliche Situationen zu stolpern. Ein Spieler, der jedesmal erst ihren inneren Schauspieler befragen muss, ob seine Figur motiviert ist, ein Abenteuer zu erleben, kann ganz schön nervig sein. Sei nicht dieser Spieler! Gib deinem Charakter einen Grund, um auf Abenteuer auszuziehen, Gefahren zu bestehen und Weltretter zu werden. Gib ihm einen Grund in den dunklen Keller zu gehen, damit die unseligen Diskussionen über Charaktermotivation ein für alle Mal der Vergangenheit angehören.

Guide to Glorantha

Wie bereits erwähnt, sind endlich die Früchte des erfolgreichen Kickstarters „Guide to Glorantha“ erhältlich. Ich habe das 8 kg schwere Paket heute bekommen. Die beiden Bücher haben zusammen etwas mehr als 800 Seiten. Ob der Atlas sein Geld wert ist, lassen wir einmal dahin gestellt (es gibt einfach zu viele freie Flächen in der mythischen Welt von Glorantha), aber es ist schön, ihn zu haben.

guide-to-glorantha

glorantha-atlasglorantha-guide-2 glorantha-guide-1

Messe Essen: Irgendwie war es cooler als die letzten Jahre

Vielleicht lag es an mir, vielleicht an den Ständen, Angeboten und Leuten, die ich traf, ich fand die Messe dieses Jahr jedenfalls besser als die letzten Jahre. Gegen 11 Uhr waren wir auf dem Gelände. Schon zu dieser frühen Uhrzeit war es abartig voll. Spielefans lassen sich offensichtlich noch nicht einmal von Bahnstreiks davon abhalten, in ihr Hobbywunderland zu fahren. Eine eigene Rollenspielhalle gibt es ja nicht mehr. Die Messe fand in drei großen Hallen statt und auch wenn in einer davon eher nerdiger Kram zu finden war, so lag doch keine so klare Trennung mehr vor wie früher: Comics und die „Zeichnerallee“ mischten sich mit kleinen Indie-Ständen, Händlern für Brett- und/oder Rollenspiele und natürlich Verlagen.

Der Uhrwerk Verlag hatte einen schönen, übersichtlichen Stand am Rand der Halle und bot eine Unmenge an Neuheiten dieses Jahr. Verlagschef Patric Götz sagte etwas von 12 (oder waren es sogar 16?) Stück. Mindestens eine Veröffentlichung mussten sie sogar verschieben, weil es zu viel Neues gab. Ich habe mir nicht alles angesehen, aber für Splittermond war natürlich eine Menge Material da. Der Sichtschutz – keine Ahnung, ob der neu ist oder nicht – ist eine echte Augenweide. Das beste ist: Er ist im Querformat, d. h. unheimlich breit (4 Panele), aber nicht sehr hoch. Für Myranor gab es bestimmt auch etwas, aber auch das interessierte mich weniger. Für Space: 1889 ist endlich der erste Quellenband „Die Venus“ erschienen. Wir Mitarbeiter haben lange darauf gewartet, dass er in den Druck geht und nun liegt der hübsche Band vor. Leider konnten wir unser Belegexemplar nicht gleich mitnehmen, weil sich die gesamten Neuheiten so gut verkauften, dass sie nicht wussten, ob welche übrig sein würden. Auch wenn ich natürlich gern in dem Band blättern würde, freut es mich, das zu hören. Ich kaufte mir die komplett farbige Neuauflage des Grundregelwerks. Die Farben wurden im Layout dezent und gut platziert eingesetzt: Es ist ein tolles Buch geworden. Welt und Spielsystem gefallen mir ja ohnehin. Hoffen wir mal, dass es jetzt etwas schneller mit Quellenbänden voran geht. Für Dungeonslayers gab es neu „Die Söhne der Wüste“, eine kleine Kampagne, über die ich bereits berichtete.

savage-worlds-ger-2Prometheus Games hatte auch ein paar Neuheiten und Nachdrucke am Start. Der Universalsichtschutz ist endlich wieder lieferbar. Drei Panele im Querformat bieten Taschen zum Einstecken von beliebigen Ausdrucken. Prometheus bietet für verschiedene Spiele kostenlos passende PDF-Dateien an. Für Gruppen, die einen Sichtschutz benutzen, ist das Ding quasi ein Pflichtkauf. Die Neuauflage der Hardcover-Version von Savage Worlds war auch auf dem Stand zu bekommen. Das Cover ist jetzt matt, die Errata eingepflegt und die Abenteuer neu. All das ist nicht unbedingt ein Grund, sich das Buch neu zu kaufen, aber der Preis von 19,95 € überzeugt vielleicht doch.

hellfrost-kreaturenNicht ganz so neu war das Kreaturenbuch für Hellfrost. Bei der Versendung meiner Vorbestellung war etwas schiefgegangen, sodass ich mir mein Buch am Stand abholte. Es sieht toll aus. Die Welt gefällt mir sowieso sehr gut. Eine kleine Rezi folgt demnächst. Außerdem sollte es die Neuauflage von Ratten! geben. Leider hat der Drucker nicht mehr rechtzeitig geliefert, was sowohl für Fans als für den Verlag sehr ärgerlich war. Ich habe es mal it großem Spaß gespielt und wollte ich mir eigentlich die limitierte Hardcover-Version kaufen. Ratten! ist toll, lädt zum netten Rollenspiel ein und bietet einfache und trotzdem spannende Abenteuer.

Der Stand von Pegasus war in einer anderen Halle bei den größeren Spieleverlagen. Für Shadowrun hatten sie ein oder zwei neue Bücher, das habe ich nicht verfolgt. Für mich spannend war „Düstere Orte“ für Cthulhu. Der Band dreht sich um gruselige Orte wie einen Schlachthof, Irrenanstalt, Friedhof u. a. und liefert auch Abenteuer dazu. Er ist hübsch wie immer; ich bin schon gespannt, wie er inhaltlich ist. Ansonsten gab es dort wieder einmal haufenweise neues Munchkin-Material und natürlich das aktuelle Spiel des Jahres, auf das Pegasus sehr stolz ist. Für uns war der Stand häufiger Treffpunkt. Wir besprachen Details über einen neuen Cthulhu-Band, an dem wir arbeiten, ich guckte teilweise bei einem Cthulhu-Testspiel zu und ganz allgemein konnte ich hier immer jemanden treffen, mit dem es sich zu reden lohnte.

Dieses Mal gab es auch eine ganze Reihe von Kleinverlagen, die ich unbedingt ansteuern musste. Bei der Runequest-Gesellschaft wurde das Glorantha-Nachschlagewerk vorgestellt, das über Kickstarter finanziert worden war. Was für ein Werk! Zwei riesige Bücher (je 400 Seiten!) in „Coffee Table“-Größe, Schutzumschlag um einen Kunstledereinband, wunderhübsch gestaltet und ganz einfach beeindruckend. Es ist mit Sicherheit das ultimative Nachschlagewerk für Glorantha-Fans und solche, die es werden wollen. Zu letzterer Gruppe gehöre ich. Ich habe heute morgen die Versandbestätigung für meine Ausgabe erhalten und freue mich schon sehr.

Bei der Edition Phantastik konnte man die Schnellstartregeln des Wolsung-Rollenspiels bewundern (nicht zu verwechseln mit dem Tabletop, das Prometheus erscheinen soll – gleiche Welt, anderes Spiel). Für 7,90 € konnte man das deutschsprachige Heft erstehen. Darin gab es Kurzregeln und ein exklusives Abenteuer. Es wurde in einer Mappe geliefert mit speziellen Karten für das Spiel und einer Posterkarte der Welt. Das englische Regelbuch gibt es schon seit geraumer Zeit und konnte mich absolut überzeugen. Die Welt ist durchdacht und die Regeln scheinen sinnvoll. Mal gucken, was da noch kommt.

cthulhu-brettspielAm Ulisses-Stand wurde die Neuauflage des Endzeit-Rollenspiels Degenesis vorgestellt. Autor Christian Günther war vor Ort und beantwortete auf seine unnachahmlich sympathische Weise jede Art von Fragen. Das Spiel ist zu einem kleinen Kunstwerk geworden. Zwei Bücher mit zusammen ca. 700 Seiten werden in einem stabilen und elegant-weißen Schuber geliefert. Die Bücher sind vollfarbig mit Bildern in der unglaublichen Qualität, für die Degenesis bekannt geworden ist. Das Regelsystem wurde komplett überarbeitet und die Informationen ganz allgemein übersichtlicher angeordnet. Der Preis von 99 € für die normale Version (es gibt limitierte Ausgaben) ist ganz klar an Liebhaber gerichtet, doch rechnet man ein, dass es zwei Bücher sind, ist das gar nicht mehr so hoch. Ich werde auf jeden Fall mehr über das Buch berichten.

Ich fand auch ein paar andere Liebhabereien, die nicht in die Reihe „deutsche Rollenspielneuheiten“ fallen. Bei dem Buchhändler, der jedes Jahr da ist, kaufte ich „Das Leben im Krieg“ von Lucius Shepard. Bei einem Händler fand ich „Lost Colony“ für Deadlands, ein Buch, das nicht mehr leicht zu bekommen ist. „Hamlets Hitpoints“ von Robin D. Laws konnte ich am Ulisses-Stand erstehen und von Daniel kaufte ich zwei 7te-See-Bücher. Ich fand außerdem das Brettspiel Cthulhu!!! Es ist ein Ableger von Zombies!!! und wird bestimmt bald von Pegasus übersetzt. Zombies!!! finde ich ganz nett und hoffe, das die neuen Regel von Cthulhu!!!, von denen mir erzählt wurde, es noch etwas attraktiver machen.

Das war es für mich auf der Messe. Es war voll und spannend. Genug Kram zum Lesen und Spielen habe ich jedenfalls gefunden, und die große Menge an Neuheiten hat mich sehr gefreut. Da behaupte jemand, Rollenspiel wäre tot …