Archiv der Kategorie: Cthulhu
[Rezi] The Outer Presence – ein cthuloides Abenteuer
[von Venger Satanis, Abenteuer + Regelwerk, Sprache: Englisch, PDF, ca. 40 Seiten]
Was geschieht, wenn man Old-School-Ästhetik, 70er Jahre Kannibalen-Filme und Cthulhu miteinander mischt? Es kommt so etwas heraus wie „The Outer Presence“. Wenn dann noch ein funktionierendes Miniregelwerk für Horrorrollenspiele beigefügt wird, ist es das eine Prämisse, die ich gern in per Kickstarter unterstützte. Inzwischen ist das PDF erschienen und für 6,66 $ zu erstehen.
Der Autor, der das Pseudonym (ich hoffe jedenfalls für ihn, dass es ein Pseudonym ist) Venger As’Nas Satanis benutzt, hat bereits mehrere Veröffentlichungen, die er über seinen Blog bzw. Drivethrurpg.com und angeschlossene Webseiten vertreibt. Da sind zum Beispiel drei ziemlich abgefahrene Old-School-Abenteuer, ein Spielleiterbuch, das ich noch besprechen werde, und das nicht weniger abgedrehte Regelwerk „Crimson Dragon Slayer“. Der grundlegende Mechanismus von CDS ist interessant. Über die verlinkte Rezension ist darüber mehr zu erfahren.
Ich weiß nicht, ob ich „The Outer Presence“ unterstützt hätte, wenn Venger nicht angekündigt hätte, ein kleines One-Shot-Regelwerk beizusteuern, mit dem man das Abenteuer spielen kann. Es basiert auf CDS und genau wie ich es mir gedacht habe, funktioniert es für Horror ganz hervorragend – besser sogar als für die Fantasy von CDS. Das Prinzip ist einfach: Bei einer Probe würfelt der Spieler ein bis drei W6. Der höchste Würfel zählt. Je nach Ergebnis, ist die Probe miss- oder gelungen, halb gelungen, gepatzt, etc. Wie viele Würfel man würfelt, hängt von der Situation ab. Meist sind es 2W6. Hat der Spieler einen Vorteil (z. B. einen passenden Beruf), würfelt er 3W6, hat er einen Nachteil, nur 1W6. Die Charaktererschaffung besteht aus der Wahl von vier Dingen, z. B. Beruf (W20-Tabelle, falls man ihn zufällig bestimmen will) und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es gibt hier keine Zahlen. Im Kampf würfelt der Angreifer eine normale Probe. Eine 6 bedeutet, dass ein (menschlicher) Gegner tot ist, eine 1 ist ein Patzer, etc. Regeln für Wahnsinn gibt es ebenfalls und natürlich sind sie genauso einfach wie der Rest.
Wenn ich noch mehr verrate, habe ich das gesamte Regelwerk beschrieben. Die Tödlichkeit des Kampfes ist extrem, doch passt das zum Genre. Man sollte Männern mit Macheten aus dem Weg gehen, sonst sieht man sich schnell die Radieschen von unten an. Für einen Con ist das hervorragend. Hat man die drei zentralen W6-Tabellen erst einmal verinnerlicht (und das ist extrem einfach), benötigt man die Regeln überhaupt nicht mehr. Proben sind einfach abzuschätzen. Der Kampf ist spannend und schnell. Ich bin begeistert. Hätte ich mich nicht bereits entschieden, dass ich auf meiner nächsten Con „Cthulhu 7“ ausprobieren will, würde ich auf dieses System zurückgreifen. Vielleicht tue ich das noch.
Die Regeln, so sehr ich sie mag, sind aber nur ein kleiner Teil des Heftes. Im Abenteuer werden die Charaktere gebeten auf Forschungsreise zu gehen. Sie sollen eine Expedition unterstützen, die in Neuguinea einen dort heimischen Stamm erforscht. Der Expeditionsleiter ist, wie es sich für das Genre gehört, ein wenig … eigenartig (nennen wir es einfach so). Die Charaktere kommen in eine Situation, die sie schockieren dürfte und lernen innerhalb von Minuten jemanden kennen, den sie lieben werden zu hassen. Ich kann nicht viel über den weiteren Aufbau des Abenteuers erzählen, ohne zu viel zu verraten. Die im ersten Satz der Rezi erwähnten Zutaten lassen vielleicht erahnen, in welche Richtung es geht. Die wenigen NSCs sind gut beschrieben. Der Anfang ist recht frei zu gestalten, ohne dass ich etwas vermissen würde. Das Abenteuer mündet schließlich in einen Dungeon – 30 Jahre lang konditionierte Cthulhu-Spieler werden schockiert sein. Ob das jedem Leser/Spielleiter gefällt, lässt sich bezweifeln, doch ist der Dungeon gut gemacht und liefert alles, was man für Cthulhu benötigt. Das Abenteuer will keine stimmungsvolle Detektivgeschichte erzählen, das darf man nicht vergessen. Es will mit abgedrehten Situationen und Figuren unterhalten und für die nötige Spannung sorgen. Schlechter Geschmack ist Teil des Ganzen, wie man am Genre bereits erahnen kann, drängt sich aber nie in den Vordergrund. Der Leser darf sich nur nicht daran stören, das Wort „Cock“ des Öfteren zu sehen. Ganz nebenbei ist das Heft hervorragend geschrieben: Kurz und prägnant, immer unterhaltsam.
Ich bin sehr angetan. Das Abenteuer macht viele Dinge anders, als ich es nach 30 Jahren Cthulhu (und lange Zeit davon war ich dabei) erwarte. Die Mischung ist ungewöhnlich. Dass die Figuren und die Geschichte insgesamt ziemlich abgefahren sind und Schlechter Geschmack (TM) einen Teil des Ganzen ausmacht, trägt zur Unterhaltung bei. Subtilen Horror darf man einfach nicht erwarten. Das mitgelieferte One-Shot-Regelwerk ist hervorragend. „The Outer Presence“ ist ein Projekt, das keine Kompromisse macht – auf gelungene Weise, wie ich finde.
Zittern, Cthulhu und Zeitreise: drei Spieltests auf der Cthulhu-Con 2014 – Teil 2: Cthulhu und Zeitreise
Teil 1, wo ich hauptsächlich über Tremulus spreche, findet ihr hier.
Den Freitagnachmittag verbrachte ich ungezwungen bei einem kleinen Workshop und netten Gesprächen. Freitagabend eröffnete ich schließlich meine Runde für The Laundry. Ich nannte sie „Zu viel Lovecraft“, weil ich den englischen Originaltitel „Ye Liveliest Awefulness“ für einen Con unpassend fand. Fragt mich nicht warum. Das Abenteuer befindet sich in Unconventional Diplomacy, dem aktuellen Abenteuerband für The Laundry.
The Laundry ist eine Mischung aus Cthulhu, Akte X und Dilbert, mit einem Hauch James Bond. Romanautor Charles Stross erschuf in bisher fünf Büchern eine Welt, in der Mathematik Magie ist. Zauber sind nichts als mathematische Prozesse. Damals wurden diese mit komplexen Zeichnungen und Menschenopfern durchgeführt, heute erledigen das Computer. Das hat den Nachteil, dass theoretisch jeder Volltrottel mit einem Smartphone Azathoth in den Weltmittelpunkt beschwören könnte. Um das zu verhindern, gibt es The Laundry, eine Abteilung des britischen Geheimdienstes. Sie ist geheimer als geheim, praktisch das Ergebnis, wenn die X-Files von ihren Vorgesetzten ernst genommen und zu einer eigenen unterfinanzierten Abteilung ausgebaut worden wären. Sie kämpft mit dem gleichen bürokratischen Wahnsinn wie alle größeren Organisationen: zu viel Papierkram, nervigen Vorgesetzten oder teils gefährlicher Desorgansation.
Das Abenteuer beginnt mit einem Mann in der amerikanischen Botschaft in London, der behauptet, Howard Lovecraft zu heißen und aus Boston zu stammen. Er kann sich nicht ausweisen. Als die Charaktere ankommen, ist er schon weg. Sie finden heraus, dass er in der Nähe aus einem Reisebus gestiegen war und, nachdem er die Botschaft wieder verlassen hatte, von schwarz gekleideten Männern in einen weißen Lieferwagen gezerrt wurde. Gepaart mit den folgenden Nachforschungen, geraten die Charaktere in wahnsinnige Actionszenen, die wohl nur mit Glück alle überleben werden. Witzigerweise folgt das Abenteuer der von Frank Heller so verhassten Cthulhu-Matrix, ist dabei aber so originell und gut aufgebaut, dass das niemanden stören dürfte. Uns jedenfalls nicht.
Für das Spiel angemeldet waren Kaid und vier junge Spieler und Spielerinnen, die ich nicht kannte. Kaid ist ein alter Laundry-Fan und konnte schon bei Einleitung und Charakterverteilung die anderen Spieler mit Anekdoten begeistern. Ab da lief alles so, wie man es sich als Spielleiter erträumt. Das Abenteuer hat einfach funktioniert. Die Spieler hatten schnell jede Menge Theorien, die gar nicht mal so weit von der Wahrheit entfernt lagen. Sie forschten, befragten, telefonierten, untersuchten und rannten um ihr Leben. Am Ende wurde die Geschichte mit einer schönen Idee aufgelöst, die im Abenteuer gar nicht vorgesehen war, aber einfach zu gut passte, um sie zu blockieren. Wir trennten uns jeder auf seine Weise begeistert (ein Eindruck der sich zu meiner großen Freude, am nächsten Tag noch einmal bestätigte, als plötzlich die Laundry-Bücher im Con-Shop knapp wurden).
Ich würde mir den Erfolg des Abends gern allein auf die Fahne schreiben, aber es war das Zusammenspiel aus Welt, Abenteuer und Gruppe, was zu so einem Vergnügen geführt hat. Die Damen und Herren am Tisch brachten eine Freude und Energie in die Spielrunde, wie ich es lange nicht erlebt habe. Wie könnte man sich davon nicht anstecken lassen? Außerdem war das Abenteuer einfach hervorragend konstruiert. Die Hinweise sinddeutlich und reichlich vorhanden. Die ganze Idee ist cool und die Action-Szenen spannend und ungewöhnlich. Und dann ist da natürlich The Laundry selbst.
- Die Idee Mathematik = Magie funktioniert erstaunlich gut.
- Es gibt verschiedenen Welten, aus denen Besucher zu uns gebracht werden können.
- Das Zusammenspiel aus beidem ergibt so etwas wie eine wahnsinnige Logik. Endlich kann man Mythosmonster und ihre Taten „begründen“.
- Der bürokratische Wahnsinn lässt sich wesentlich leichter in die Abenteuer einbauen, als ich je erwartet hätte.
Gruppen, die auf der Suche nach cthulhoider Abwechslung sind, sollten unbedingt einen Blick auf The Laundry werfen. Höchstwahrscheinlich werden sie erstaunt sein, wie viel Neues immer noch im Mythos steckt und wie gut moderne Abenteuer gestaltet sein können.
Den Samstagnachmittag verschlief ich größtenteils. So konnte ich halbwegs ausgeruht in den letzten Abend gehen und nicht nur mein nächstes Abenteuer bestreiten, sondern auch genug Zeit für Bier im Gewölbe einrechnen. Das zweite Abenteuer war für Time Master. Time Master ist ein uraltes System, dass auf den alten Regeln der vergangenen Verlages Pacesetter aufbaut. Die erste Edition von Chill basierte zum Beispiel darauf. Der Verlag Goblinoid Games hat Rechte für einige der alten Systeme und bietet sie und darauf aufbauende Bücher als PDFs an. Als sie irgendwann eine Angebotswoche hatten (ca. 2 $ pro Buch), kaufte ich so ziemlich alles, was da war.
Time Master ist – welche Überraschung – ein Zeitreiserollenspiel. Die Charaktere sind Mitglieder der Time Corps und reisen in die Vergangenheit, um diese zu „reparieren“, wenn jemand darin herumpfuscht. Ein paar der üblichen Zeitreiseabenteuerprobleme werden mit einfachen „Gesetzen der Zeitreise“ beseitigt. Das Abenteuer, das ich leitete, hieß Clash of Kings und spielt in der Welt von König Artus. Wer würde nicht gern einmal dafür sorgen, dass das Schwert genau so aus dem Stein gezogen wird, wie es die Legende vorsieht, obwohl böse zeitreisende Aliens es verhindern wollen?
Das original Regelwerk gefällt mir nicht so gut. Es ist absolut spielbar, erschien mir mit seiner großen Anzahl an Fertigkeiten und der großen Zentraltabelle, über die alles geregelt wird, unpassend für eine Con. Ich griff deshalb auf ein anderes Regelsystem zurück. Deep7 hat eine Reihe mit dem Titel 1PG. Das sind Minirollenspiele, die für spontane Zusammenkünfte oder eben Cons ausgelegt sind. Jedes „Buch“ hat genau 13 Seiten. Darin sind die allgemeinen Regeln enthalten, die Sonderregeln für das jeweilige Genre (Superkräfte für Superhelden, Magie für Fantasy, Gadgets für Geheimagenten etc.), Charakterbögen (mit und ohne kurzer Regelerklärung) und fünf Abenteuer auf je einer Seite. Erfahrene Spielleiter mit dem Willen zu improvisieren können mit so einem Heft innerhalb von 15 min. eine Rollenspielrunde aus dem Boden stampfen. Das erschien perfekt. Ich suchte mir ein halbwegs passendes Genre und erstellte einen angepassten Charakterbogen.
Da die Charaktererschaffung fast vollständig zufällig ist und wahnsinnig schnell geht, wollte ich die Charaktere vonden Spielern erstellen lassen. Das war keine so gute Idee, wie sich herausstellte, weil es mit Erklärungen und sechs Spielern am Tisch eben doch immer länger dauert als geplant. Meine Erklärungen waren ebenfalls etwas konfus. Schlussendlich hat es uns nicht übermäßig lang aufgehalten, hätte aber ruhig schneller gehen können.
Das Abenteuer ist sehr flexibel. Es gibt mehrere Punkte in Artus‘ Geschichte, die „repariert“ werden müssen. Es ist aber leicht möglich, nach jedem Punkt aufzuhören. Wir schafften Punkt 1. Die Charaktere konnten also dafür sorgen, dass Artus genau so gezeugt wurde, wie es sein sollte. Schon mit ihrer allerersten Tat hoben sie den geplanten Weg des Abenteuers aus den Angeln. Die Abenteuer sind aber so aufgebaut, dass man leicht improvisieren kann. Ein paar Ideen schlugen fehl, aber die entscheidenden gelangen. Aus meiner Sicht war das bei weitem keine perfekte Spielsitzung, aber ich gehe davon aus, dass alle ihren Spaß hatten. Ich hatte ihn jedenfalls. Die Spieler waren sehr nett und harmonierten gut.
Der Abend klang aus mit Bier im Gewölbe und langen Quatschereien. Am Sonntag war ich wieder froh, nicht selbst fahren zu müssen, denn ich war erwartungsgemäß übermüdet. Die Con war wieder toll. Leider fällt sie nächstes Jahr aus, weil sich die Organisatoren neu organisieren müssen. Hoffen wir, dass das nicht das Anfang vom Ende ist. Ich würde jedenfalls wieder gern auf die Burg Rieneck fahren, um Cthulhu zu zocken.
Zum 123. Geburtstag Lovecrafts: Cthulhu-Con-Bericht 1013
Ich will gerade lostippen, da sehe ich, dass heute der 123. Geburtstag von HPL ist. Das ist ein schöner Grund, um den Artikel heute auch fertig zu machen. Auf HPL! Ohne ihn wäre das hier alles nicht möglich.
Der 10. Cthulhu-Con fand wie die letzten Jahre auf Burg Rieneck statt. Die Location ist einfach toll. Das Essen ist ok, die Kaffeeversorgung funktioniert und es gibt viele schöne Orte, um zu spielen. Auch das Wetter hat dieses Jahr mitgemacht: warm und sonnig am Tag und kühl in der Nacht, dass man vernünftig schlafen konnte.
Donnerstag ging es bereits los. Eine halbe Woche ist viel Zeit zum Spielen, denkt man – und plötzlich ist es Sonntag und man fährt wieder nach Hause. Es gab aber auch wieder viel zu tun, zu sehen und zu quatschen. Zum Jubiläum wurde ein Jubiläumsdinner serviert und einen Abend wurden Cocktails gemixt, die ausgesprochen lecker waren (vielen Dank an Barmann Yörn! – Ich hoffe, ich schreibe dich richtig). Als weiteren besonderen Programmpunkt gab es einen Film. Es war ein Low-Budget-Lovecraft-Film, der, glaube ich, Gewinner eines HPL-Filmfestivals ist. „The Thing on the Doorstep“ war durchaus nett gemacht, nur der Ton war mäßig, sodass ich nur ein Viertel des englischen Textes verstanden habe. Bei so einer Ausbeute war es dem Film trotz der teilweise großartigen Bilder unmöglich, mich wirklich zu fesseln – dass ich aufgrund des unvermeidbaren Schlafmangels fast eingeschlafen wäre, hat auch nicht geholfen.
Wesentlich spannender war eine kurze Vorschau auf den Film „Dreamlands“, die „Die Farbe“-Macher Huan Vu vorstellte. Es soll ein groß angelegter Fantasyfilm werden, der mehrere Dreamlands-Geschichten auf der Leinwand vereint. Ob und wie schnell das Projekt umgesetzt werden kann, steht noch in den Sternen, aber der Trailer lässt Großes hoffen.
Die Hauptattraktion der Con waren natürlich die Spielrunden. Donnerstagabend bot Daniel für einen kleinen Kreis Pendragon an. Er hatte extra ein Abenteuer herausgesucht, in dem Tentakeln (wenn auch keine cthuloiden) vorkamen. Pendragon ist toll. Ich habe es jetzt zweimal gespielt und es war jedes mal ein besonderes Erlebnis. Die Regeln funktionieren einfach, sind spannend, kurzweilig und nachvollziehbar. Die Geschichte war unkompliziert und kurz: Ein Ehemann, der nach der Ehe „wunderlich“ wurde, ein alter Fluch und einige Tests unserer Standhaftigkeit in einer Burgruine unter Wasser sorgten für Spannung. Ich spielte den 17-jährigen Lancelot, eine Figur, die mir ausgesprochen gut gefiel. Die Truppe war nett, der Spielleiter gut und der Abend war schnell vorbei.
Freitagmorgen bot Ralf mit der Unterstützung von Daniel ein Seminar über das Abenteuerschreiben an, das zu viel Diskussionen zwischen Ralf und mir führte. Der Vortrag arbeitete alle Grundlagen ab: Vom Brainstorming mit unterschiedlichen Techniken, über das Aufschreiben bis hin zum Spannungsbogen-Erschaffen. Ralf orientierte sich stark an dem Aufbau von Geschichten und gab ein paar hervorragende Tipps. Was mir persönlich etwas fehlte, waren Hinweise, wie man Railroads nicht unangenehm werden lässt oder sie ganz vermeidet, aber ein solches Seminar kann niemals alles abdecken. So war es ein unterhaltsamer Vortrag, in dem ich sogar etwas gelernt habe.
Den Nachmittag nahm ich mir frei, bereitete mein Abenteuer für den Abend vor und schlief noch einmal zwei Stunden. 21 Uhr bot ich dann „Return to Red Hook“ für Trail of Cthulhu an, ein Abenteuer, das sich im Band „Arkham Detective Tales“ befindet. Die Gruppe war vielleicht eine der sympathischsten, mit denen ich bisher auf Cons spielen durfte. Auch das Abenteuer lief hervorragend. Die Story ist spitze, es kam – so weit ich das als SL beurteilen kann – keine MInute Langeweile auf und der actionreiche Abschluss war spannend. Da ich das Abenteuer vielleicht noch einmal auf dem ADI im September anbieten will, kann ich hier nichts zum Inhalt sagen. Nur so viel: Die Gruppe verschanzte sich am Ende in einem Haus mit Kultanhängern und lieferte sich mit ihnen ein tolles Feuergefecht. Den Schluss musste ich etwas kürzen, aber da ich die geplanten letzten Szenen ohnehin nicht so toll finde, war das nicht schlimm. Wenn ich nach der hervorragenden Dynamik am Spieltisch gehe, scheint die Gruppe so viel Spaß gehabt zu haben wie ich. Danke, Leute, das war echt spitze.
Es ging bis 3 Uhr nachts und nach einem extrem kurzen Abstecher ins Gewölbe (dort war die Kneipe), fiel ich müde ins Bett.
Am Samstagmorgen wollte ich eigentlich pausieren, doch Kaid bot spontan eine Runde Fiasko an, das ich schon so lange einmal ausprobieren wollte. Wir rekrutierten noch ein paar Leute mehr und spielten schließlich zu fünft. Als Playset wurde passenderweise „Bookhounds of London“ gewählt und schnell hatten wir die Figuren erschaffen. Ich war ein schmieriger Erpresser, was mir viel Spaß bereitete. Wir hatten einen Buchladen, ein magisches Tagebuch, Fälschungsversuche und Entführung. Am Ende verbreitete ein Dämon Missstimmung und zwei Menschen (u. a. ich) und ein Haus brannten. Fiasko ist mal etwas ganz anderes. Es funktioniert hervorragend und liefert Möglichkeiten, Geschichten zu erfinden und ein wenig zu schauspielern. Das nächste Mal achte ich auf größere Ziele, sodass man noch mehr Unerwartetes erlebt. So oder so war es ein spannender Vormittag.
Nachmittags leitete ich dann „The Wild Hunt“ aus dem Buch „Black Bag Jobs“ für das Spiel The Laundry. The Laundry ist ein Cthulhu-Ableger, der ebenfalls mit den BRP-Regeln arbeitet. Der Hintergrund entstammt der gleichnamigen Romanreihe von Charles Stross. Er paart grauenhaft komplexe Bürokratie mit grauenhaft entsetzlichen Monstern und herzerfrischender Parodie. Zwei Mitspieler kannten die Romane (im Gegensatz zu mir), doch auch der Rest der Gruppe fand sich sehr schnell ein und ergötzte sich daran, mit der Bürokratie zu spielen. Das Abenteuer spielt in Dartmoor in einem esoterischen Selbstfindungszentrum. Der Besitzer Dr. Greg Satori ist ein herrlich witziges Klischee des modernen Gurus. Das Zentrum liegt am Rande eines unheimlichen Waldes und grenzt an ein altes Haus mit merkwürdigen Bewohnern. Ein paar Leute sind verschwunden und es gibt andere Merkwürdigkeiten.
Das Abenteuer ist prinzipiell sehr gut, nur die Informationsdichte ist nicht so hoch, wie ich es mir gewünscht hätte. Das war mir beim Lesen nicht aufgefallen. So stolperte die Gruppe verhältnismäßig ziellos umher – zwar mit Spaß, aber mit weniger Erfolgen, als ich gern gesehen hätte. Sie fanden zwar heraus, in welche Richtung es ging, doch dauerte es so lange, dass wir das Showdown nicht mehr vor dem Film schafften, der abends lief, und leider auch später keine Zeit mehr dafür fanden. Die Gruppe bereitete mir aber unentwegt Freude mit der Darstellung der Agenten und ihrem ganz persönlichen Verhältnis zu Dr. Satori. Ich fand das Spiel witzig und hoffe, es hat sich niemand gelangweilt.
Abends nach dem Film gab es wie üblich den großen Abschluss mit dem Tablequiz. Ich hatte das Glück mit einem echten Fachmann am Tisch zu sitzen und so gewannen wir mit einem Punkt Vorsprung. Ich habe z. B. nicht gewusst, woran Lovecraft gestorben ist (Darmkrebs) und hätte auch den Vornamen seiner Frau verwechselt (Sonia). Dafür wusste ich aber noch vom ersten Tablequiz, wo der blaue Monolith steht (R’lyeh) und konnte so doch noch ein wenig beitragen. Beim Schaden der Elefantenbüchse lagen wir alle daneben (3W6+4) und den Stabilitätsverlust eines Shoggothenlords in Monstergestalt (1W6/1W20) hatten wir auch falsch. Es war wie immer ein vergnüglicher Abschluss. Danach fanden noch viele interessante Gespräche statt und wieder einmal viel zu spät ging ich ins Bett.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen gab es noch mehr Gespräche und nach ganz vielen „Bis nächstes Jahr“, „Bis zur Spielemesse“ oder „Bis zum ADI“, machte ich mich auf den Heimweg. Die Rückreise war ereignislos aber erwartungsgemäß anstrengend. Ich bin immer noch müde, aber es hat sich gelohnt. Der DCC 2013 war ein tolles Ereignis ohne einen einzigen Wermutstropfen. Mehr kann man nicht verlangen.
Spieltest Cthulhu-Abenteuer „Bilderwahn“ – ein Drama ohne Drama
Ich habe das Abenteuer „Bilderwahn“ für das Cthulhu-Deutschlandbuch zwar mit viel Freude schrieben (zusammen mit Daniel), bin bis letztes Wochenende aber nie dazu gekommen, es einmal zu spielen. Irgendeinen Grund gab es immer. Das war nicht schlimm, weil Daniel damals einen erfolgreichen Spieltest durchführte, ich musste also nicht zwangsläufig ran. Geärgert hat es mich trotzdem, denn ich mag das Abenteuer. Es liefert, was ich zurzeit an Cthulhu-Abenteuern mag: starke, aktive NSCs, persönliches Drama und eine, wie ich finde, gut eingebundene Mythosgefahr.
Letztes Wochenende auf einem kleinen privaten Con ergab sich endlich eine Gelegenheit es auszuprobieren. Eigentlich ist das Abenteuer für mehrere Spielabende ausgelegt, was es nicht gut geeignet macht für Cons. Wir setzten Samstag von 13 Uhr bis 21 Uhr als Spielzeit an in der Hoffnung, dass das reicht. Es hat gereicht, sogar locker.
Ich versuche Spoiler zu vermeiden. Das Abenteuer startet in einer Gruppentherapie im Jahr 1928 irgendwo in Deutschland bei einem Psychologen names Dr. Marwede. Die Charaktere müssen sich nicht kennen. 1928 gibt es das Konzept der Gruppentherapie eigentlich noch nicht, aber Marwede wollte trotzdem alle Patienten in einem Raum haben. Alle leiden unter Alpträumen und Stresssymptomen. Die Träume scheinen nicht nur zusammenzuhängen, sondern weisen auch noch eine andere Besonderheit auf (die ich nicht verraten will, auch wenn sie für Kenner sicher keine große Überraschung wird). Sie berichten sich gegenseitig ihren wichtigsten Traum und können diese vergleichen. Anschließend beendet Marwede die Behandlung für alle und schickt sie auf Nachforschungen. Sie geraten daraufhin in einen kleinen Hexenkessel mit einem Künstler, seiner Tochter, einem Verbrecherbaron, seinem Sohn und seiner Wahrsagerin. Die fünf NSCs sind sehr aktiv und problembeladen und ihre Handlungen halten die Geschichte am Laufen.
Die Vorbereitung rief mir ins Gedächtnis, dass „Bilderwahn“ definitiv kein Abenteuer für Anfänger ist. Die Ansprüche an den SL sind durchaus hoch: Er muss die fünf NSCs, drei parallel laufende und sich überlappende Handlungsstränge unter Kontrolle halten und gleichzeitig den Informationsfluss managen. Wir haben uns alle Mühe gegeben, die Infos so zu aufzubereiten, dass sie verständlich und übersichtlich sind. Die Handlungsstränge sind weder lang noch kompliziert, dennoch muss der SL schon eine ganze Menge im Kopf haben.
Das Spiel lief von der ersten Sekunde an hervorragend. Ich hatte eine erfahrene Gruppe von Spielern am Tisch, die sofort in die Situation einstiegen. Sie lasen nach dem ersten Vortrag ihrer Träume diese gleich noch einmal vor, um sie besser vergleichen zu können. Ich bin in der Zeit auf der Toilette gewesen und als ich wieder kam waren sie immer noch fleißig dabei, die Träume zu analysieren. Toll.
Dann stiegen sie routiniert in die Nachforschungen ein, wesentlich effektiver und routinierter, als ich erwartet hatte. Da wir es ja etwas eilig hatte, war ich großzügig mit Informationen. Wie sich herausstellte, war das genau das Richtige. Sie reimten sich die Hintergründe der Geschichte mit einer Effizienz und Geschwindigkeit zusammen, dass ich nur beeindruckt sein konnte. Auch weniger offensichtliche Zusammenhänge wurden sehr schnell durchschaut und immer die richtigen Schlüsse gezogen. Sie waren so schnell, dass sie bis zu dem Teil, wo ich eigentlich die Dramen und Handlungsstränge einführen wollte, fast schon fertig waren. Das Showdown fand in der Szene statt, die eigentlich als Ende des ersten Aktes und nicht des gesamten Abenteuers gedacht war. Und die ganze Zeit wurde gerätselt, kombiniert und rollengespielt.
Für mich war der Verlauf eine große Überraschung und noch eine größere Freude. Bei Daniel und mir liefen die Spiele sehr unterschiedlich, haben aber beide Male funktioniert. Genau diese Flexibiltät wollten wir erreichen. Eine Gruppe, die mit weniger Nachforschungen zu dem Künstler geht, erlebt ein völlig anderes Szenario. Ich hatte großen Spaß und ich glaube die Spieler auch.
Masks of Nyarlathotep Companion – 572 Seiten kostenloses Material
Auf Yog-Sothoth.com entstand ein gigantisches Werk mit Zusatzmaterialien für eine der wichtigsten Rollenspiel-Kampagnen aller Zeiten. Masks of Nyarlathotep – bzw. In Nyarlathoteps Schatten – ist wirklich legendär. Die weltumspannende Cthulhu-Kampagne hat im Laufe der Zeit vielleicht mehr Charaktere verschlissen als jede andere und gilt auch heute noch für viele als der Gold-Standard für Kampagnen. Die deutsche Box enthält viel zusätzliches Material, doch wer nicht das Glück hat, sie zu besitzen oder einfach noch mehr Material haben möchte, kann sich das PDF des englischen Companios herunterladen. Das Inhaltsverzeichnis ist äußerst vielversprechend, und ich freue mich schon auf eine ausführliche Lektüre.
Warum Abziehbildcharaktere etwas Gutes sind
Für Cthulhus Ruf #2 schrieb ich einen Artikel, der in die Reihe „Die Flüstertüte“ kam. Die Flüstertüte ist eine Reihe mit Kolumnen über beliebige Themen, die zur Diskussion anregen sollen. Seit langem propagiere ich, dass die Tatsache, dass Cthulhu-Charaktere meist 2-dimensionale Abziehbildfiguren sind, eines der Hauptqualitätsmerkmale des Kultspiels ist. Die Meinung teilt nicht jeder, deshalb schien das Thema perfekt für die Flüstertüte zu sein.
Offenbar bin ich nicht der Einzige, der diese Meinung teilt. Auf dem Durchgeblättert-Blog wurde die Ausgabe besprochen und der Rezensent war genug von dem Artikel angetan, um vorzuschlagen, ihn auch als Blogartikel zu veröffentlichen. So viel Begeisterung wollen wir gern aufgreifen. In Absprache mit der Cthulhus-Ruf-Redaktion veröffentliche ich den Artikel nun auch hier. Vielleicht hat ja jemand Lust einen persönlichen Kommentar zu hinterlassen.
Es ist der unredigierte Text, man mag bitte verzeihen, wenn mehr Tippfehler darin sind als in der Zeitschrift.
Warum Abziehbildcharaktere etwas Gutes sind
Eines der größten Qualitätsmerkmale von Cthulhu ist, dass die Charaktere häufig zweidimensionale Abziehbilder sind – kaum mehr als Ansammlungen von Fertigkeiten mit einem Beruf und einem Namen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich geht es auch anders. Man kann zum Beispiel die Tabellen im Spielerhandbuch zur Ausgestaltung der Figur benutzen. Man kann sich Gedanken um den Hintergrund einer Figur machen, ja sogar eine Hintergrundgeschichte aufschreiben; man kann Story Hooks in diesen Hintergrund einbauen, um dem Spielleiter etwas in die Hand zu geben, das er in die Abenteuer einbauen kann. Ich behaupte aber, dass all das zu einer anderen Art Spiel führt, als Cthulhu eigentlich anstrebt, mehr noch, dass es normalerweise eher stört als nützt. Es kann funktionieren, aber durchdesignte Figuren mit tollem Hintergrund und Motivationen werden allzu häufig als ein Muss hingestellt, will man “vernünftig” spielen.
Ich sehe das anders. Dünne Abziehbildcharaktere sind flexibel und passen zu dem Stil, der von Cthulhu in Aberhunderten von Abenteuern und Quellenbüchern dargestellt wird.
Charaktermotivationen stehen häufig im Weg
Es gibt Cthulhu-Spielleiter, die schneiden ihre Abenteuer perfekt auf die Charaktere zu. Die meisten Gruppen tun das nicht. Das cthuloide Grauen kommt von außen und bricht in die normale Welt, persönliche Beweggründe müssen da zurückstehen bzw. sind sogar im Weg. Was habe ich im Spiel davon, mir Leitmotive und Lebensmotivationen für meine Figur auszudenken, wenn ich diese ignorieren muss, um die Welt zu retten? Gar nichts. Ein Charakterhintergrund ergibt nur dann Sinn, wenn er im Spiel auch vorkommt.
Ich habe eine kranke Schwester, um die ich mich kümmern muss? Tja, dann muss wohl jemand anderes seinen Hals für New York City riskieren, denn ich werde noch gebraucht. Ich habe ein Drogenproblem? Dann kann es schlecht sein, wenn ich bei meinen Nachforschungen angeschossen werde und das Krankenhaus die Polizei einschaltet oder mich gleich da behalten will.
Detektivische Abenteuer zu schreiben ist schon schwer genug – auch ohne dass man Rücksicht auf die speziellen Lebensumstände der Charaktere nehmen oder gar Story Hooks der Spieler einbauen muss. Und publizierte Abenteuer können darauf natürlich auch nur begrenzt Rücksicht nehmen.
Anfängertauglichkeit
Anfänger sind leicht einzuschüchtern, wenn sie “schauspielern” sollen. Man muss sich schon ein wenig gehen lassen, will man eine Figur am Tisch ausspielen, und Anfängern ist das zunächst häufig peinlich. In eine Figur, die nur aus Fertigkeiten und einem Beruf besteht, können sie genau so viel hineinlegen, wie ihnen angenehm ist. Eine Figur ohne Hintergrund bedeutet, dass der Spieler im Grunde sich selbst spielt. Damit bekommt die Figur automatisch “Tiefe”.
Die häufig geäußerte Argumentation, dass man Anfänger gleich “richtig” erziehen soll, halte ich generell für Quatsch. Anfänger fühlen mit ihren Figuren ohnehin meist eher mit als abgebrühte Langzeitinvestigatoren, auch ohne sich “Gedanken über ihren Charakter” gemacht zu haben. Entweder sie haben irgendwann Spaß daran, ausgedachte Figuren zu verkörpern oder nicht.
Es bringt häufig keinen Vorteil
Ein entfernter, bisher unbekannter Verwandter, bittet die Charaktere um Hilfe. Als sie ankommen ist er tot und eine düstere Nachricht über den kommenden Weltuntergang ist mit Blut an die Wand geschrieben.
Oder: Auf dem Charakterbogen eines der Charaktere steht seine Schwester. Sie ist zwar bisher nie aufgetaucht, doch jetzt bittet sie ihren Bruder um Hilfe – und verstirbt, bevor die Charaktere sie aufsuchen können genau wie der entfernte Verwandte oben.
Hand aufs Herz: Wie groß ist der Unterschied? Ist die Schwester vorher nicht aufgetaucht, existierte sie vor ihrem Tod genausowenig wie der aus dem Hut gezauberte “entfernte Verwandte”. Es ist die Aufgabe des Spielleiters, ein Gefühl für die NSCs zu vermitteln. Das geschieht, indem er dafür sorgt, dass sie im Spiel auftauchen, den Plot verändern und irgendwie eine Bedeutung für die Geschehnisse haben. Stehen sie nur auf irgendeinem Zettel – egal ob SL-Notizen oder Charakterbogen – sind sie irrelevant.
Es gibt zwei Gegenargumente:
1. Zu selbst ausgedachten Figuren hat der Spieler ein engeres Verhältnis. Wie in Film oder Roman muss man Personen kennen, um mit ihnen mitzufühlen, und ein Spieler sollte eher mit Leuten mitfühlen, die er selbst erschaffen hat. Aber ist das wirklich so? Ein klein wenig vielleicht und auch nur bei dem einen betroffenen Spieler. Kennenlernen tut man eine Figur nur, indem sie im Spiel auch wirklich auftaucht. Ist es ein von einem Spieler erfundener NSC, muss der Spielleiter die Darstellung der Figur genau an die Vorstellung des Spielers anpassen, sonst verpufft der Effekt. Die Figur ist selten so gut vom Spieler ausgearbeitet, dass das wirklich klappt.
2. Der Spieler nimmt dem Spielleiter Arbeit ab, wenn er sich schon vorher etwas ausdenkt. Auch das ist ein Trugschluss, denn das Abgleichen zwischen Darstellung durch den Spielleiter und Vorstellung des Spielers erfordert Arbeit und Absprache. Ich habe mir in drei Minuten einen verschollenen Bruder aus den Fingern gesogen und einen Namen ergoogelt; das geht schneller.
Es unterstützt den cthuloiden Spielstil
Eigentlich ist es mir völlig egal, ob meine Cthulhurunde den Lovecraftstil nachahmt oder nicht. Der vielerorts angepriesene Nihilismus und all der ganze andere Kram kann mir gestohlen bleiben, wenn das Spiel spannend, chaotisch oder einfach spaßig ist. Wie viele von euch haben mit Cthulhu angefangen, weil sie die Monster cool finden?
Im Zuge dieser Diskussion sollte der Umstand dennoch Erwähnung finden, dass zweidimensionale Hauptcharaktere absolut zu Lovecrafts Stil passen. Lovecrafts Figuren sind gesichtslose Eigenbrötler, die dem Mythos begegnen und davon vernichtet werden. Das wird ihm zwar ab und zu vorgeworfen, aber wir finden die Geschichten trotzdem gut, oder? (Auch wenn die Flüstertüte in Ausgabe 1 von Cthulhus Ruf etwas anderes behauptet.)
Der lovecraftsche (Anti-) Mythos ist durch seine Abwesenheit von Persönlichkeit so schockierend und faszinierend. Die Menschheit ist unwichtig im Vergleich zum Mythos – wen interessiert denn da, ob mein Vater gemein zu mir war oder mein Bruder Minderwertigkeitskomplexe hat? Im Angesicht der Großen Alten sind wir alle gleich.
It’s a feature, not a bug
Ich höre sie schon, die Stimmen:
“Ich war aber mal in einer Runde, in der [tolle Geschichte einsetzen], und das konnte nur so klappen, weil wir tiefgründige Figuren hatten.”
“Wir spielen völlig anders. Uns würde das so, wie du es beschrieben hast, keinen Spaß machen.”
“Und was ist mit klassischen Horrorszenarien, die ohne Detektivteil auskommen?”
“Es gibt Dutzende andere Stile, die du nicht bedenkst.”
Das ist alles zweifellos richtig. Rollenspiel kann und sollte auf verschiedene Arten gespielt werden. Was in Gruppe A funktioniert, kann ich Gruppe B zu einer Katastrophe führen.
Es wird aber eine Menge Energie in den Versuch gesteckt, das Cthulhuspiel diesbezüglich zu “reparieren”. Wir haben lange Tabellen im Spielerhandbuch, es gibt Tipps und Tricks, Gedanken zu Abenteuerdesign, etc. Besonders erfahrene Rollenspieler stecken manchmal eine Menge Arbeit in den Versuch, der Kampagne mehr “Tiefe” zu geben. Aber gerade den erfahrenen Spielern sollte es keine Mühe machen aus “Reporter, STÄ 8, GR 17, Fotografie 10%” spontan eine tolle Figur zu machen. Ich jedenfalls sehe diese drei Zahlen und habe sofort ein Aussehen und ein bis zwei Charaktereigenschaften im Kopf. Ich kann meiner Figur also Dreidimensionalität verleihen, indem ich sie so spiele, wie es sich im Abenteuer ergibt, sie an dem wachsen lasse, was sie erlebt. Ich muss aber nicht, denn die Mythosgeschichte ist davon nicht abhängig. Die Spannung ergibt sich aus einer hohen Sterblichkeitsrate und altbekannten Elementen wie “die Gefahr, die man nicht sieht” oder “etwas durchbricht die allgemeine Ordnung und menschliche Moralvorstellungen.” Sie funktioniert ohne “Tiefe”, denn diese klassischen Horrorelemente sind unabhängig von den Figuren. Die Unpersönlichkeit des Mythos persönlich zu machen, bedeutet viel Arbeit – unnötige Arbeit, die besser investiert werden könnte.
Atomic-Age Cthulhu erschienen
Vor ein paar Tagen ist ein neues Buch von Chaosium erschienen: „Atomic-Age Cthulhu“. Es geht um Cthulhu im Amerika der 50er Jahre, wo die Technik scheinbar alles kann, die USA reicher und immer reicher werden und neue Technik neue Gefahren birgt. Die Geschichten dieser Zeit erzählen von ehrgeizigen und unmoralischen Wissenschaftlern, die zu Bösewichten werden. Die Atomkraft wird zum Hintergrund für viele Monsterfilme und Horrorstorys. Andererseits ist es eine Welt, in der alles möglich scheint, Rauchen gesund und stark macht und die ersten Mikrowellengeräte, Fertiggerichte, Kugelschreiber und elektrische Dosenöffner unter das Volk gebracht werden.
Ich habe mir dieses Mal das PDF gekauft. Es hat ein sehr schlichtes Layout – so schlicht, dass ich zuerst vermutete, es sei ein PDF-Fehler. Bei genauem Hinsehen tippe ich aber, dass es doch so gewollt ist. Es stört nicht – schon gar nicht, wenn man das PDF ausdrucken will. Die Bilder sind unterschiedlich und teilweise sehr gut. Das Cover ist großartig.
Das Buch enthält sieben Abenteuer und im Anschluss daran einen knapp 30 Seiten langen Quellenteil über die 50er mit Listen über die beliebtesten Songs und Fernsehprogramme, Geschichtlichem, Lebensweise usw.
Das Jahrzehnt bietet einen tollen Hintergrund für weniger ernsthafte Cthulhu-Geschichten. Ich kann die Abenteuer noch nicht beurteilen (habe das PDF erst seit ein paar Stunden), aber ich hoffe auf verseuchte Dörfer (einschl. gefährlichen Mutanten), riesig-mutierte Tiere und andere, nennen wir sie einmal „pulpige“ Elemente.
Als zusätzliche Lektüre möchte ich unbedingt „Mein Amerika“ von Bill Bryson empfehlen (z. B. hier) – auch wenn es die positive Seite dieser Zeit darstellt, die ja bei Cthulhu weniger stark beachtet wird. Es sind Jugenderinnerungen von Bryson, der in eben diesem Jahrzehnt groß geworden ist. Es ist sein bestes Buch – tolle Unterhaltung von einem begeisterten und begeisternden Schreiber, massenweise witzige Anekdoten und ein Blick auf eine Zeit, die manchmal so fremd erscheint, wie ein anderer Planet.
Janus-Gesellschaft für Cthulhu eingetrudelt
Es ist eine Weile her, dass ich mir erwartungsvoller Freude auf einen Cthulhu-Band gewartet habe, in dem keine Texte von mir stehen. Die Janus-Gesellschaft ist ein solcher Band. Das Buch beschreibt eine weltumspannende Geheimgesellschaft von Wissenschaftlern und Okkulisten, der auch die Charaktere angehören können. Damit ist eines der größten Probleme von längeren Cthulhu-Kampagnen behoben, nämlich die schwindende Glaubwürdigkeit, wenn der nächste Liftboy, Straßenmusikant oder Doktor überredet wird, sich spontan einer Gruppe von Irren anzuschließen, die auf Monsterjagd gehen. Jetzt gibt es eine ganze Gesellschaft solcher Irren. Leider konzentriert sich der Band auf die 20er. Da hätte ich gern etwas mehr gehabt.
Über die Hälfte des Bandes wird von drei großen Abenteuern eingenommen, die genutzt werden können, um verschiedene Facetten der Janus-Gesellschaft kennenzulernen. An „Zwillingswelten“, dem letzten der drei, hat Daniel mitgearbeitet und auch wenn ich es noch nicht im Detail kenne, weiß ich zumindest, dass es eine hervorragend abgefahrene Grundidee hat, die für Abwechslung sorgt.
Heute ist meine Vorbestellung eingetrudelt und wartet darauf konsumiert zu werden.
Dies ist mein 700. Post auf dem Blog. Sehr passend, dass er sich (zufällig) an Cthulhu richtet, denn damit hat er mal angefangen, auch wenn ich den Fokus ein wenig verloren habe im Laufe der Zeit.
Zwei cthuloide Neuigkeiten
1. The Monolith from Beyond Space and Time ist erschienen. Das Abenteuer ist für Old-School-D&D-Klone geschrieben (genauer: das Lamentations of the Flame Princess RPG) und kommt komplett ohne cthuloide Monster oder Zauber aus, ist aber ganz tief in lovecraftschem Horror verwurzelt. Man kann es in einer beliebigen Welt zu einem beliebigen Zeitpunkt spielen – ich möchte sogar wetten, dass moderner Horror funktionieren würde. Ein tolles Abenteuer, bei dem es den Charakteren an den Kragen geht und die Welt anschließend nicht mehr so sein wird wie vorher.
2. Dass Chaosium an der 7. Auflage des Cthulhu-Regelwerks arbeitet, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Ich habe vor kurzem einen langen Artikel über die geplanten Änderungen gefunden. Ich bin gespannt, obwohl ich ganz ehrlich der Meinung bin, dass eine Überarbeitung nicht nötig ist. Wenn ihr schon auf der Seite seid: The Unspeakable Oath 21 ist erschienen und wie immer einen Blick wert.
Cthuloide Fantasy: The Monolith from Beyond Space and Time
Die Kickstarter nehmen kein Ende. Für Lamentations of the Flame Princess (und damit auch jeden anderen D&D-Klon) werden zwei Abenteuer angeboten.
The Monolith from Beyond Space and Time ist, nach allem, was ich bisher gelesen habe, sehr cthuloid, ohne dass ein Mythosmonster auftauchen würde. Anscheinend taucht ein Monolith irgendwo auf und macht komische Dinge mit der Realität. Für die SCs wird es nicht leicht und ein sehr gruseliges Ende wartet auf sie. 48 Seiten, DIN A5.
Über The God that Crawls weiß ich nur wenig. Es wird ein kleiner, für Anfänger geeigneter Dungeon , ebenfalls cthuloid. 32 Seiten, DIN A5. Um die Seiten zu füllen gibt es auch noch ein paar Zusatzregeln oder ähnliches Bonusmaterial.
Die PDFs für 15 €, gedruckt plus PDFs für 40 €.
Es fehlen noch 324 €, um das Ziel zu erreichen und es sind nur noch 67 Stunden bis zum Ende Zeit. Also guckt mal, ob euch das gefallen könnte – egal, ob ihr gern Cthulhu oder Fantasy mögt. Die LotFP-Sachen sind generell gut – finde ich jedenfalls.
Link zum Kickstarter von The Monolith from beyond Space and Time plus The God that Crawls.
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