Spielstopper I – Des Rätsels Lösung

Rollenspiel sollte spannend und aufregend sein, man sollte die Möglichkeit haben, sich darin zu verlieren, interessante Debatten mit Nichtspielerfiguren zu führen und in letzter Sekunde die Jungfrau zu retten. Häufig fließt ein Spielabend aber nur träge dahin. Das Fällen der nächsten Entscheidung wird zum schier unüberwindbaren Hindernis; endlose und unfruchtbare Diskussionen, wie man als nächstes vorgehen sollte, ersticken die Spannung und wenn alle nach Hause gehen, haben sie das Gefühl „nichts geschafft“ zu haben. Ein Abenteuer, das eigentlich nach ein oder zwei Spielabenden beendet sein sollte, kann so auch schon mal acht oder neun Abende dauern.

Es gibt ein paar wichtige Spielstopper, die das Spiel zum Stehen bringen können. Sie sind häufig schuld an der Misere und kann man sie vermeiden, läuft das Spiel schneller, spannender und einfach angenehmer. In diesem und nächsten Artikel werde ich die beiden häufigsten Spielstopper beschreiben und Tipps geben, wie man sie umgehen kann. Die Rätsel sollen den Anfang machen.

Rätsel sind ein natürlicher Bestandteil jeder Geschichte. Ohne eine Fragestellung – Wie besiege ich Dr. Bösewicht? Wer hat Fräulein Lieblich getötet? Oder: Wie in Dreiteufelsnamen soll ich damit umgehen, dass mein Vater, der König von Großreich, mich als Kind verlassen hat, ich kurze Zeit später von Feinden gefangen genommen und jahrelang eingesperrt wurde und deshalb bis heute schlecht schlafe? – funktioniert keine Geschichte. Als sich Rollenspielgeschichten noch ausschließlich in Dungeons abspielten, wurden die Rätsel als Alternative zu Fallen und Monstern in die Räume gesetzt, um „besiegt“ zu werden. Später wurden die Rätsel weiterentwickelt und auf andere Abenteuer übertragen. Statt Geheimtüren, die gefunden werden und Worträtsel, die entschlüsselt werden mussten, lautete die Frage beispielsweise: Wie kann ich Eberhard Einhand, den verurteilten Dieb, dazu bringen mich zu unterstützen?

Rätsel in all ihren Formen sind wichtig, bringen Spaß und sorgen für eine erhöhte Aufmerksamkeit am Spieltisch. Aber dennoch können sie das Spiel auch zum Stillstand bringen. Spieledesigner Jared Sørensen („octaNe“, „Inspectres“, „The Farm“, …) nennt dieses Problem das „Rätselraumsyndrom“. Man stelle sich zur Verdeutlichung einen Dungeonraum vor: Eine Tür führt hinein (durch sie kommen die Charaktere) und eine führt hinaus. Um die ansonsten unüberwindbare Steintür zu öffnen, muss ein Zahlenrätsel gelöst werden. Lösen die Spieler das Rätsel, geht die Geschichte weiter, lösen sie es aber nicht, geschieht … nichts. Das Spiel kommt zum Stehen. Sie versuchen es weiter und weiter, werden frustriert und grübeln und rätseln – bis der Spielleiter ein Einsehen hat und ihnen die Lösung verrät.

Das Rätselraumsyndrom lässt sich auf viele andere Situationen übertragen. Es sei zum Beispiel die Detektivgeschichte genannt, in der die Charaktere den nächsten Hinweis nicht finden. Oder sie kommen nicht am Türsteher einer Disko vorbei, die im Zentrum des nächsten Abenteuerabschnitts steht. Manchmal hat sich in einem Abenteuer auch einfach eine Situation ergeben, in der die Spieler nicht wissen, was sie als nächstes tun könnten (ihnen fehlen die offensichtlichen Optionen). Egal, warum die Spieler nicht wissen, was als nächstes zu tun ist, sie grübeln herum und lassen sich schnell von Dingen außerhalb des Spiels ablenken; das Spielt steht und der Spielleiter hat Probleme, es wieder ans Laufen zu bringen.

Aber, so wird mancher motivierte Abenteuerdesigner fragen, wie soll ich auf solche Herausforderungen verzichten, ohne dass das Abenteuer nur noch eine Aneinanderreihung von Kämpfen wird? Rätsel in all ihren Formen sind nicht zu vermeiden und sollen auch gar nicht vermieden werden. Der Trick ist, die möglichen Spielstopper zu erkennen und sie zu vermeiden, denn bei weitem nicht jedes Rätsel hat das Potenzial ein Spiel anzuhalten. Beachtet man eine einzige Regel bei dem Entwurf von Abenteuern, kann sich kein Rätsel mehr zu einer Katastrophe entwickeln.

Die Regel der Rätsel: Auch wenn ein Rätsel nicht gelöst wird, muss das Abenteuer weitergehen.

Mit anderen Worten: Überlege dir, was geschieht, wenn niemand das Rätsel löst. Lautet die Antwort: „Nichts“, ändere das. Wenn also die Charaktere das Rätsel nicht lösen, muss irgendetwas Spannendes geschehen. Das Lösen des Rätsels bringt den Charakteren einen Vorteil (sonst wäre es sinnlos, es zu versuchen), doch ein Nicht-Lösen, hält sie nicht dauerhaft auf.

Das ist so einfach, dass man sich fragt, wie sich das Rätselraumsyndrom überhaupt so weit verbreiten konnte. Und mit etwas Erfahrung lernt man auch viele der versteckten Rätsel zu erkennen. Doch welche Möglichkeiten habe ich im Einzelnen? Was soll ich machen, wenn ich eine tolle Idee für ein Rätsel habe? Und was ist mit all den anderen Tipps wie „immer mehrere Lösungswege anbieten“ u. a.? Es folgen zwei Möglichkeiten.

  • Zeitdruck: Setze die Charaktere (bzw. Spieler) unter Zeitdruck. Wenn das Rätsel nicht in einer bestimmten Zeit gelöst ist, geschieht irgendetwas Negatives und das Rätsel hat sich von allein erledigt. Kommen die Charaktere beispielsweise nicht rechtzeitig durch die Tür, werden sie von ihren Verfolgern eingeholt und im anschließenden Kampf wird durch „Zufall“ der Öffnungsmechanismus ausgelöst.
  • Die falsche Lösung: Verhalten die Charaktere sich falsch (also nicht der Lösung des Rätsels angemessen), geschieht irgendetwas Negatives und das Abenteuer geht an dieser Stelle weiter. Im Beispiel mit dem Türsteher und der Disko, könnte das Ziel der Charaktere sein, in der Disko einen gesuchten Mann zu finden. Kommen sie am Türsteher nicht vorbei, warnt dieser aber den Mann in dem Gebäude, dass die Charaktere ins Gebäude wollten (der Mann hatte den Türsteher bestochen, genau dies zu tun), woraufhin der Mann versucht zu fliehen. Die negativen Auswirkung des „Versagens“ der Charaktere ist, dass der Mann jetzt einen größeren Vorsprung hat, als wenn er in der Disko auf die Charaktere getroffen und geflohen wäre.

Der klassische Tipp „Jedes Rätsel muss auf mehrere Arten gelöst werden können“, mit dem man Railroading und eben ein Anhalten des Spiels vermeiden will, ist nicht falsch, aber leider auch nicht vollständig. Hat der Spielleiter immer mehrere Lösungswege vorbereitet, verringert sich die Chance, dass das Spiel stoppt erheblich. Aber die Chance ist immer noch da, wenn die Spieler nämlich auf keine der möglichen Lösungen kommen. Als Ausweg muss der Spielleiter also auch hier immer eine Lösung parat haben, die immer dann in Kraft tritt, wenn die Charaktere nichts tun.

Noch mehr Beispiele:

  • Die Charaktere sind in die Todesfalle des Dr. Bösewicht geraten und sind nun in einem Gitterkäfig eingesperrt, der langsam in ein Säurebad abgesenkt wird. Der Spielleiter hat sich zwei oder drei Möglichkeiten ausgedacht, wie die Charaktere aus dem Käfig fliehen können. Kommen sie auf keine der Ideen, berührt der Käfig irgendwann die Säure und seine Metallstreben lösen sich auf (die Charaktere müssen sich so lange an den Stäben über ihnen hochziehen). Sobald in Bodennähe ein paar Verankerungen aufgelöst sind, lassen sich die Stäbe leicht auseinanderbiegen, was sich durch ein „Klonk“ und durch eine Bewegung der unter Spannung stehenden Gitterstäbe ankündigt. Dr. Bösewicht hat über seine Falle anscheinend nicht genug nachgedacht und so können die Charaktere unter Schwierigkeiten und leicht verätzt oben auf den Käfig klettern und von dort aus in Sicherheit springen.
  • Können die Charaktere das Rätsel auf der Steintür im obigen Beispiel nicht lösen, kommt jemand Starkes und Gemeines durch die Tür zu ihnen und greift sie an. Danach ist die Tür offen und sie können weiter.
  • Der Spielleiter will, dass die Charaktere darauf kommen, in ein bestimmtes Haus einzubrechen und hat mehrere Hinweise gestreut, die darauf hindeuten. Damit die Charaktere auf jeden Fall einbrechen, hat er dafür gesorgt, dass irgendwann etwas Lautes darin geschieht, das die Charaktere in das Haus lockt, wenn sie es beobachten oder aus anderen Gründen daran vorbeikommen (Hilferufe machen sich in solchen Fällen immer gut). Um ganz sicher zu gehen, hat er auch noch einen Nichtspielercharakter eingeplant, der die Charaktere versucht zu überreden zu dem Haus zu gehen, wenn sich nicht selbst auf die Idee kommen.
  • Die Charaktere sollen beobachten, wie irgendwelche gruseligen Wesen in ein bestimmtes Haus eindringen. Werden alle Hinweise auf das Haus übersehen, sorgt der Spielleiter dafür, dass es von den Wesen aus Versehen oder mit Absicht in Brand gesetzt wird. Ein Zeuge wird von der Polizei befragt und berichtet von eigenartigen Wesen, die er im Feuerschein gesehen haben will. Der Spielleiter muss nun nur noch dafür sorgen, dass dieser Bericht den Charakteren in die Hände fällt, dann haben sie zwar die Wesen nicht selbst gesehen, aber zumindest eine Beschreibung von ihnen.

Der Spielstopp ist der Tod jeder Spannung, die angezogene Handbremse des Spielspaßes. Man wird auch mit entsprechender Mehrarbeit bei der Abenteuervorbereitung nicht jeden Spielstopp verhindern können, doch achtet man immer darauf und entwickelt einen Blick dafür, kann man nicht nur die meisten umgehen, sondern auch noch mit der zusätzlichen Dynamik neue Spielsituationen und zusätzliche Dramatik erzeugen. Man wird schlussendlich entsprechende Ideen spontan entwickeln lernen und bei der Vorbereitung von ganz von allein die passende Schritte einleiten.

Macht euch am Anfang dieses kleine Bisschen zusätzliche Mühe und haltet Ausschau nach Rätseln, die das Spiel potenziell anhalten könnten. Es wird sich auszahlen.

Weiterlesen: Zweite Teil der zweiteiligen Reihe „Spielstopper II – Wenn die Götter Würfel spielen“

Veröffentlicht am 7. Oktober 2007, in Spielhilfen. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Kommentare deaktiviert für Spielstopper I – Des Rätsels Lösung.

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