Spherechild

[Spherechild von Alexander Hartung, Spherechild.de, 2007, Sprache: Deutsch, 286 Seiten, € 35]

Das Rollenspiel „Spherechild“ basiert auf einer ungewöhnlichen Idee: Das Universum ist in so genannte Sphären – Welten, die parallel existieren und völlig unterschiedlich aussehen können – zerschlagen worden. Die Spieler verkörpern Figuren auf verschiedenen Sphären, die das Universum gegen die furchtbaren „Sembaren“ verteidigen müssen.

Jeder Spieler hat also mehrere Figuren, in jeder Welt eine. Sie sind die „Sphärenkinder“, Wesen mit der Macht zwischen den Sphären mit ihren Brüdern und Schwestern zu kommunizieren und so Angriffe der Sembaren koordiniert abzuwehren. Sphärenübergreifende Attacken der Sembaren sind durch so genannte „Echos“ möglich. Wenn auf einer Sphäre etwas passiert, erzeugt das Echos in anderen Welten, wenn also auf Icros ein Geheimlabor in die Luft fliegt und gefährliche Viren freisetzt, könnte das auf Valcreon ein kleines Untotenheer aufscheuchen oder ein Erdbeben auslösen. Die Idee des Universalrollenspiels wird damit auf neue Wege geführt.

Auch optisch ist „Spherechild“ ungewöhnlich. Das Cover ist weiß bis auf einen Rorschach-artigen Klecks in der Mitte, dem Titel und dem kleinen Vermerk „Grundregelwerk“. Die Rückseite ist bis auf die ISBN-Nummer leer und der Buchrücken schlicht. Der Band ist stabil. Die Innengestaltung versucht sich an schlichter Eleganz mit einem fein gemusterten Seitenrahmen und Zeichnungen, die wenig schwarze Flächen aufweisen. Die Bilder sind unterschiedlicher Qualität, aber immer mindestens auf gehobenem Fan-Niveau. Nur das Hintergrundbild im unteren Drittel einer jeden Seite stört etwas. Es verschönert die Seiten zwar, zwingt mich aber dazu immer wieder Sätze doppelt zu lesen, weil mein Auge abgelenkt wird.

Die Regeln bewegen sich zwischen D&D, DSA und Midgard (besonders Midgard hatte laut Auskunft des Autors Einfluss auf das Design). Das ausgerechnet diese drei „Dinosaurier“ als Vorbilder genommen wurden, trifft leider überhaupt nicht meinen persönlichen Geschmack – Worte wie „altbacken“ oder „klobig“ kommen mir in den Sinn – man muss der Gerechtigkeit halber aber sagen, dass sich Alexander Hartung alle Mühe gegeben hat seine Vorbilder zu verbessern. Ja, man hat teilweise den Eindruck, dass sein vornehmlichstes Ziel war, sein Lieblingssystem zu „reparieren“. Proben laufen nach dem Prinzip W20+Eigenschaftswert gegen Mindestwurf. Für den Kampf erlernen die Figuren Fertigkeiten für die Waffen (Attacke- und Paradewert getrennt) und Kampfmanöver. Zum Glück gibt es nur wenige Manöver, sodass man kein Chaos wie bei den D&D-Feats oder den Hunderten von Spezialfertigkeiten von DSA erwarten muss. Mir ist trotzdem nicht klar, warum ich beispielsweise extra erlernen muss, mich an einem Gegner im Nahkampf vorbeizudrängen. Das ist etwas, das zur Kampfausbildung dazugehört und nicht extra gelernt werden muss. Auch der Rest der Regeln bewegt sich in diesen Bahnen, niemand, der eines der drei genannten Spiele kennt, sollte Probleme haben, sie zu begreifen.

Die Magieregeln weichen allerdings von den Vorbildern ab, denn sie kommt ohne Spruchlisten aus. Stattdessen erlernt der Zauberer magische Fertigkeiten. Wendet er sie an, ergibt sich aus einer Tabelle die Schwierigkeit des Zaubers, je nachdem wie stark er sein soll, wie groß seine Reichweite oder sein Wirkradius ist. Ich persönlich habe noch kein System dieser Art erlebt, das mich in der Praxis zufriedenstellen konnte, aber die präsentierten Regeln machen einen soliden Eindruck.

Schon auf S. 78 verlassen wir die Regeln – die aber später ein wenig durch „spärenspezifische“ Regeln wie spezielle Fertigkeiten, etc. ergänzt werden – und kommen zu den beiden im Buch beschriebenen Sphären. Valcreon ist eine klassische Fantasywelt mit verschiedenen Rassen, Magie und Göttern in einer Mittelalter-artigen Epoche. Auf Elfen und Zwerge wurde bewusst verzichtet. Storyelemente wie ein auslaufender Friedensvertrag und die Verbannung eines bösen Gottes machen Valcreon zu einer abenteuertauglichen und spannenden Welt. Auf 90 Seiten werden die Götter, die Gegenden, die Spielerrassen, Professionen, Ausrüstung und sphärenspezifischen Fertigkeiten beschrieben – alles was man braucht. Es gibt sogar Götterwunder, die aber nicht reglementiert, sondern vom Spielleiter festgelegt werden. Teilweise driftet der Text leider in eine trockene Auflistung von Infos ab; hier wäre noch etwas Textarbeit erforderlich gewesen, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Ein kurzes Abenteuer schließt das Kapitel ab.

Auf Icros herrschen mit der heutigen Erde vergleichbare Bedingungen: Technik, Regierung und Verbrechen sind ähnlich genug, dass wir uns sofort heimisch fühlen. Im Unterschied zur Erde wurde Icros allerdings von Außerirdischen beherrscht, die per Genmanipulation Agenten unter den Menschen erschafften, bevor sie besiegt und vertrieben wurden. Die Agenten leben noch immer auf Icros, obwohl alles unternommen wurde, um sie zu vernichten. Zum einen gibt es die EN 7, die sich nur psychisch von den Goranen (der Name für die Icros-Menschen) unterscheiden und zum anderen die Wandler, die ihre Gestalt ändern können. Alle Spieler verkörpern Wandler.

Icros gefällt mir sehr gut. Es ist eine ungewöhnliche Welt mit vielen Möglichkeiten für Spannung und Abenteuer. Dass vor kurzem wieder Signale aus dem All empfangen wurden, die auf einen erneuten Angriff der Außerirdischen hindeuten könnten, dürfte sicherlich dazu beitragen, dass es nicht langweilig wird. Auch für Icros wird ein kurzes Abenteuer geliefert.

Das letzte Kapitel widmet sich den Sphären, ihren Kindern, den Echos und den Sembaren. Ein paar Szenarioideen und ein fertiges, sphärenübergreifendes Abenteuer schließen es ab, bevor es zum kurzen Anhang geht, in dem die Charaktererschaffung, Tipps zur Sphärenerschaffung und der Index zu finden sind. Die Ankündigungen im Buch ließen mich befürchten, dass der größte Trumpf des Spiels evtl. nicht genutzt wird, es werden nämlich nur Bücher angekündigt, die die bestehenden Sphären Icros und Valcreon weiter beschreiben. Zum Glück ist aber vor kurzem auf der Homepage des Verlages das erste Preview zur nächsten neuen Sphäre erschienen, die erhoffte Abwechslung wird also geliefert.

Einen Eindruck von den Regeln und Welten bekommt man im „Introheft“, das auf spherechild.de heruntergeladen werden kann. Es enthält einen Regelüberblick, zwei Charaktere und ein kleines Soloabenteuer. Valcreon ist wesentlich besser, als der kurze Eindruck, den man über die Charakterbeschreibung bekommt, vermitteln kann, dennoch ist das Introheft einen Download wert.

Fazit: Trotz der aufgeführten Mängel gefällt mir „Spherechild“ ausgesprochen gut. Die Regeln sind gut gemacht, auch wenn mir persönlich der Einfluss der „großen“ deutschen Systeme zu stark ist. Von persönlichen Abneigungen einmal abgesehen sind sie aber solide gemacht und von jedem sofort wiederzuerkennen, der schon einmal DSA oder Midgard gespielt hat. Die Einstiegsschwelle ins Spiel ist dadurch erfreulich gering. Die Welten sind gut aber nicht zu ausführlich ausgearbeitet und bieten genau die richtige Mischung aus Stimmung und Abenteuer. Kleinigkeiten zu meckern findet man immer, besonders bei einem Hobbyprodukt wie diesem hier, doch insgesamt ist es ein optisch und inhaltlich wirklich gelungenes Buch.

Veröffentlicht am 12. Mai 2008, in Rezensionen. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Kommentare deaktiviert für Spherechild.

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